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Reggio di Calabria

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Reggio di Calabria

Kultstätte der Persephone

An der Straße von Messina, Sizilien gegenüber. Die wiederholten Erdbeben, welche die Reggio di Calabria erdulden mußte, machten viele Wiederaufbauten nötig und raubten der Stadt allmählich jeden Reiz. Dennoch lohnt sich ein Abstecher, und sei es nur, um die beiden berühmten Bronzekrieger von Riace im Nationalmuseum zu bewundern.

Übernachtung

Albergo Noel: Via Zerbi 13, Tel. 33 00 44. Zu Fuß etwa fünf Minuten vom Nationalmuseum; sich Richtung Meer halten. Vom Hauptbahnhof Reggio aus mit dem »Bähnle« bis Haltepunkt »Lido« am Strand entlang. Einige Gemächer mit Balkon und Meeresblick. Reißt uns aber nicht vom Hocker, ja, wirkt sogar reichlich trist. Dafür braucht niemand sein letztes Hemd zu versetzen.

Sehenswert

Nationalmuseum: Viale G. Amendola. Im Sommer Einlaß von 9-13h und von 15.30-17.30h; sonntags nur vormittags, montags überhaupt nicht.

Hier erwarten uns antike Zeugnisse griechischer Präsenz in dieser Gegend, die ja schon einmal mit dem Namen »Großgriechenland« bedacht worden ist. Beispielsweise die Votivtafeln aus Terrakotta (Pinakes), die in der, jedenfalls zur Zeit der Antike, berühmten Kultstätte der Persephone in Locri gefunden wurden. Sie stellen Szenen aus dem sagenhaften Leben dieser Göttin dar, welche wir hier kurz zusammenfassen. Persephone (lat. Proserpina) war ein hübsches junges Mädchen, das ohne Sorgen in den Tag hinein lebte, bis Hades, Gott der Unterwelt, sich auf dem ersten Blick in sie verliebte. Da er nicht von der Sorte jener duldsamen männlichen Kreaturen war, die ihren Liebeskummer alleine auszutragen pflegen, stieg er in seinen Wagen, entführte Persephone und verbrachte sie in die Unterwelt, wo er sie heiratete. Demeter, der Mutter des Mädchens, vor Trauer niedergeschlagen, gelang es schließlich, ihre Tochter zurückzuholen, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese bei Hades keine Nahrung zu sich nähme. Doch die Schöne naschte gerne und aß einen Granatapfel (mit einem solchen wird sie übrigens oft – so auch hier – abgebildet; häufig ist diese Frucht auch als Todessymbol auf Begräbnisdarstellungen zu sehen). Nun, Hades hatte gerade einen guten Tag und ließ sich auf einen Handel ein: er zählte nur den halben Granatapfel und erlaubte ihr, künftig wenigstens sechs Monate im Jahr bei ihrer Mutter zu verbringen. Dann scheint bei uns die Sonne wieder, und alles wächst. Die andere Hälfte des Jahres hockt Persephone unter der Erde und büßt für die verputzte Apfelhälfte: dann ist auf der Erde oben Winter. Neben den Gegenständen der Kultstätte beachte man die Bronzespiegel, die ebenfalls in der Nekropole von Locri ausgegraben wurden.

Auch Ausschau halten nach dem nackten Epheben (Jüngling) zu Pferde aus dem 5. Jahrhundert v.Chr., dessen Reittier merkwürdigerweise von einem Triton getragen wird. Er zierte den Zeustempel der Kolonie von Marafioti. Von dort stammen auch bemerkenswerte Terrakotten, die diversen Bauteile als Verkleidung dienten, und die bronzenen Registraturtafeln aus dem Archiv des Heiligtums. Unter den Exponaten auch die Skulpturen der Dioskuren Castor und Pollux aus dem 5. Jahrhundert vom Marasatempel. Außerdem eine gewichtige Sammlung antiker Münzen. Unter den in Reggio selbst gefundenen Gegenständen fallen vor allem ein Ohringpaar aus Gold in Form eines Bockhauptes und ein prächtiger Glaskelch, der mit einer Jadgszene aus Blattgold verziert ist, auf. Wie derart zerbrechliche Stücke nur die Jahrhunderte überdauern konnten!

In der Pinakothek sind vor allem die beiden Bilder von Antonello da Messina einen Blick wert: St. Hieronymus und Die drei Engel.

»Renner« indes sind und bleiben die berühmten Bronzekrieger von Riace. Rein zufällig wurden sie 1972 von einem Taucher in acht Metern Tiefe vor Riace in Kalabrien entdeckt; an der Stelle, wo das Schiff, das die Skulpturen zu ihrem Bestimmungsort transportieren sollte, gesunken war. Von den beiden Kriegern war nichts als der Arm der Statue »B« zu sehen. Es begann eine langwierige und peinlich genaue Säuberungsarbeit mit dem Ziel, die beiden Herren von Meeresablagerungen zu befreien, die sie gleich einem Mantel bedeckt und geschützt hatten. Erst nach und nach wurde den Restauratoren die außergewöhnliche Feinheit der griechischen Werke aus dem 5. Jahrhundert bewußt. Diese in ihrer Art einzigen Figuren entsprechen in der Qualität der berühmtesten griechischen Statue, der Auriga von Delphi. Nach vollendeter Restaurierung wurden sie auf stoßdämpfenden Sockeln montiert, gegen alle seismischen Kapriolen gefeit.

Beide Krieger müssen neben dem Helm auch Lanze und Schild getragen haben, wie es die Haltung von Armen und Händen nahelegt. Obendrein ist ein Schildgriff erhalten geblieben. Augen und Zähne sind in die Statuen silbern eingelegt, die Lippen und Brustwarzen aus Kupfer. Äußerst fein auch die Bearbeitung der Haar- und Bartlocken. Statue »A« ist 2,05 m hoch, wiegt 250 kg und besitzt eine stärker herausgearbeitete Muskulatur als Statue »B«. Der junge Krieger trägt eine gar trutzige Haltung seinem unsichtbaren Feind gegenüber zur Schau. An der geringfügig kleineren Statue »B« ist vor allem die Rückenpartie interessant: die Anatomie des Torso ist hier besonders hervorgehoben, und es fällt auf, dass die linke Schulter höher als die rechte steht. Die Art und Weise, Muskulatur mit den Mitteln des Bildhauers zu gestalten, entspricht einem geringfügig späteren Stil als bei der Statue »A«. Beide Krieger weisen eine Reihe gleichartiger technischer Einzelheiten auf und sind vermutlich in derselben Bronzewerkstatt, aber von verschiedenen Künstlern und in einem Abstand von einigen Jahren entstanden: die erste Statue wird auf das Jahr 450 v.Chr., die zweite auf 420 v.Chr. geschätzt. Fragt sich, wer denn nun die beiden so kunstvoll in Stein gehauen hat? Es wurden schon bekannte Namen in die Debatte geworfen: unter anderem jener des berühmten Phidias (der vor allem auch in Olympia wirkte) für Statue »A« und Polyklet für Statue »B« (Plinius lobte ihn als den ersten, der anatomische Einzelheiten, z.B. Venen, naturgetreu abbildete). Doch handelt es sich nur um Vermutungen.

Im gleichen Raum auch der Kopf des Philosophen aus Bronze vom Ende des 5. Jahrhunderts, weniger bekannt als die Statuen von Riace, aber sicher genauso außergewöhnlich. Er wurde im Meer vor Ponticello aus dem Wrack eines griechischen Schiffes gehoben. Es handelt sich wahrscheinlich nicht um eine Porträtbüste, sondern auch um eine Statue, deren Körper verlorengegangen ist. Der bärtige Greis ist wirklich beeindruckend, mit seiner Adlernase und seinem klaren Blick.