Bergleute
Die Bergvölker
Sitte und Gebräuche
Wanderung und Überleben
Die ethnischen Minderheiten leben in den abgelegenen Regionen des Nordens und des Südwestens. Jahrhundertelang haben sie sich ihre Sitten und Gebräuche bewahren können. Erst die Spezies Homo turisticus hat eine von außen gesteuerte Entwicklung in Gang gesetzt, deren Ausgang noch offen ist.
Die Bergmenschen haben nur wenig gemeinsam mit den übrigen Thais, nicht einmal deren Sprache oder Religion. Im Gegensatz zu letzteren, die sich ungefähr vor einem Jahrtausend auf dem heutige Territorium niederließen, wanderten die Bergvölker erst um die Jahrhundertwende aus China oder Burma ein. Sie wollten hier in Ruhe leben und ein Stückchen Land bepflanzen; im Norden Thailands fanden sie für Brandrodungsfeldbau und Viehzucht ideale Voraussetzungen. Geldwirtschaft war weitgehend unbekannt, starre Hierarchien und größere gesellschaftliche Einheiten ebenfalls. Im Schutz der dichten Urwaldvegetation lebten sie bis in die siebziger Jahre noch nahezu unberührt von der thailändischen Gesellschaft.
Die allmähliche Zuwanderung entwickelte sich kontinuierlich fort, bis die in unserem Jahrhundert vollzogene Festsetzung von Grenzen im Berggebiet zwischen Nordvietnam, Laos, Burma, Thailand und dem Süden Chinas die Wanderungsbewegungen ernsthaft bremste. Die auf die gesamte Bergregion verteilten Völker sind deswegen so mobil, weil sie leider ihre Felder nach einer Weile verlassen, weiterziehen und ein neues Stückchen Urwald urbar machen. So etwas nennt man Brandrodungsfeldbau: sobald der durch Brandrodung gewonnene Ackerboden nach ein paar Jahren nichts mehr hergibt, gilt es, die Koffer zu packen und es weiter weg erneut zu versuchen, indem das zum Überleben der Gruppe notwendige Stückchen Land gerodet wird. Das gesamte soziale Leben und die Weltanschauung dieser Halbnomaden basieren auf dieser regelmäßig wiederkehrenden Wanderungsbewegung. Heute jedoch kann davon keine Rede mehr sein, denn die thailändische Regierung verbietet seit über fünfzehn Jahren die Anlage neuer Dörfer und Felder. Die erste zur Seßhaftigkeit und damit zur gewerbsmäßigen Landwirtschaft genötigte Bergvölkergeneration leidet noch unter dem Schock dieser erzwungenen Umstellung, auf die sie in keiner Weise vorbereitet war. Da die Bergvölker lediglich ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, ist der thailändischen Regierung wenig daran gelegen, für diese »primitiven und weit verstreuten Minderheiten, von denen einige im Vietnamkrieg auch noch die Stirn hatten, eine prokommunistische Haltung einzunehmen, geeignete Entwicklungsprogramme anzubieten. eba94Zaghafte Versuche, die Bergvölker stärker in die thailändische Gesellschaft einzugliedern und beispielsweise ein Schulwesen aufzubauen, hat es zwar gegeben, diese blieben aber in halbherzigen Anläufen stecken. Was gehen uns die Bergvölker an ist nach wie vor die Einstellung vieler Thais gegenüber den Minderheiten.ebe Krönung des Ganzen: der Westen, allen voran die Vereinigten Staaten, führt eine Kampagne gegen den Mohnanbau in Südostasien durch, indem er Druck auf die thailändischen Behördn ausübt, eben diese Bergvölker davon zu überzeugen, Kohl und Möhren statt Mohn anzupflanzen. Für die traditionellen Mohnanbauer sind die finanziellen Einbußen natürlich beträchtlich, ganz zu schweigen von den Scherereien mit der Verwaltung und den Übergriffen durch Polizei und Militär (die gerne mal die Hand aufhalten und dafür die Mohnbauern gewähren lassen). Auf dem Umweg über die Drogenpolitik wird also eine brutale Integrationspolitik betrieben: thailändischer Kultur und Sprache, buddhistischer Religion, den Regeln der Marktwirtschaft und dem Fremdenverkehr haben die Bergvölker nur wenig entgegenzusetzen. Den Bergvölkern droht ein Aufgehen ihrer Kultur mit jener der Flachlandthais im Schmelztiegel Zentralthailand.
Die Anpassungsprogramme werden langfristig die Identität der Bergvölkerkulturen in Frage stellen. Das Problem stellt sich immer wieder von neuem: wie lassen sich, z.B. durch Schulbildung, die jungen Leute in die thailändische Gesellschaft behutsam eingliedern, ohne dabei die traditionelle Lebensweise in den Bergdörfern brutal zu stören? Eines ist sicher und läßt sich anhand zahlloser Beispiele auf dieser Erde leicht beweisen: jedwede Art von erzwungener Integration traditioneller Gesellschaften hat stets ein doppeltes Scheitern nach sich gezogen. Nämlich die Zerstörung der sozialen Strukturen und die fast schon physiologische Unmöglichkeit, sich an die neue Lebensart zu gewöhnen.
So stellt sich also die derzeitige Lage der Hill tribes dar. Es ist wichtig, darüber im Bilde zu sein und im Hinterkopf zu behalten, dass unser Führer höchstwahrscheinlich selber Thai sein wird und wenig von der Lebensweise dieser Völker weiß, womit er das kulturelle Desinteresse seiner Regierung widerspiegelt. Was diesen Führer natürlich nicht daran hindern wird, irgendeinen Blödsinn über die Bergvölker zu verzapfen, je nach Appetit seiner Zuhörer auf schlüpfrige Details oder pikante Anekdoten. Natürlich handelt er nicht aus Bosheit, eher aus Unkenntnis. Wer Glück hat, wird auf einen Führer treffen, der selbst aus einem der Bergdörfer stammt. Allerdings darf man sich keinen Illusionen hingeben: der Prozentsatz wirklich einheimischer Führer ist verschwindend gering in der Chiang Maier Fremdenverkehrsindustrie.