Atom-Experimente
Strahlende Fakten aus Nevada und Utah
Radioaktivität, am Menschen getestet
Schmutzige Geschäfte der US-Regierung und Atomindustrie
Las Vegas muß man einmal erlebt haben, auch wenn der Anblick der reichen Pinkel zwischen armen Schluckern, menschlichen Wracks und abgebrannten Individuen mit dem Geräusch der Spielautomaten als Hintergrundmusik eher abschreckend wirkt. 50 km weiter steht ein Atomkraftwerk, einzig der Stromversorgung von Las Vegas dienend. Wie es gekühlt wird, wissen wir nicht, aber eigentlich kommt nur der Boulderstausee in Frage.
Ach ja, und wer wissen will, warum wir immer so fix aus Las Vegas verschwinden: nur 65 Meilen nördlich der Stadt liegt das Gelände für Atombombentests der AEC (Atomic Energy Commission), seit den Fünfzigern benutzt.
Zumindest die elftausend Einwohner des Städtchens St. George in Süd-Utah, nordwestlich von LV, im Windschatten des hundert Meilen entfernten Testgeländes und in unmittelbarer Nähe des Zionnationalparks, könnten einiges dazu berichten, wie in dem Film »Paul Jacobs und die Atombande« (Paul Jacobs and the Atomic Gang), bei uns hin und wieder mal in Programmkinos laufend, zu sehen ist, so z.B. über die radioaktive Wolke, die am 19. Mai 1953 erst Richtung Vegas trieb, dann aber umschwenkte und über dem Städtchen niederging, über »Schnee«, der an den Händen brannte, über verendetes Vieh, über Krebs ... Das war der Test namens »Harry«, wegen seiner Folgen bald nur noch »Dirty Harry« genannt.
Unvergeßlich übrigens die kleine, im Film eingebaute, Szene aus einem AEC-Propagandastreifen, wo der Feldtheologicus mit seinem Kreuz auf dem Stahlhelm dem armen Soldaten mit seinen Gewissensbissen vorschwärmt, dass ein wundervoller Pilz, ein Licht, heller als tausend Sonnen, in allen Farben des Regenbogens gen Himmel steige.
Zahlreiche Einwohner von St. George sind an Krebs und Blutkrebs erkrankt und viele längst daran gestorben.
Als die Bevölkerung nach den vielen Versuchen während der fünfziger Jahre merklich unruhig wurde, ließ die Regierung Flugblätter folgenden zynischen Inhalts verbreiten:
»Ihr Anwohner des Testgeländes seid wirklich aktive Teilnehmer an den Atomtestprogramm der Nation. Ihr seid Beobachter von Versuchen, welche die Verteidigung unseres Landes und der freien Welt entscheidend stärkten.« ... Bis auf gewisse Unannehmlichkeiten habe es bei den 45 Versuchen keine Zwischenfälle gegeben, mit Ausnahme einer durch Lichtblitz verursachten Augenverletzung.
Dabei waren im Juli 1947 beim Abwurf der vierten Mutti Swancutt wünschte ihrem Sohn, dem Kommandanten der B 29, Gottes Schutz über den Radiosender und der unterseeisch gezündeten fünften Bombe auf dem Bikiniatoll zahlreiche zum Bombenabwurf abkommandierte Soldaten verstrahlt worden, wie Robert Stone in »Bikini« dokumentiert. Sie liefen nach zehn Stunden bereits auf den verschmorten und verbogenen Schiffen umher, die zu Testzwecken im Atoll verankert waren, sammelten die toten Versuchstiere ein, angelten, badeten, wuschen ihre Wäsche und speisten ihre Trinkwasseraufbereitungsanlagen weiter mit dem Wasser des Atolls.
Die Armee wußte genau, dass sie die Soldaten als Versuchskarnickel mißbrauchte, denn die Wissenschaftler mit ihren Geigerzählern hatten ihre Schuhe abgedeckt. Bewegend das Zeugnis John Smithermans, der gleich nach dem Test krank geworden war und von der Armee 1948 entlassen wurde. Erst zu Ende des Films, nach Schilderung seiner Erfahrungen und nachdem er über seine beiden Beine erzählte, die nacheinander amputiert werden mußten, gleitet die Kamera tiefer und zeigt seine linke Hand, die auf dem Beinstumpf ruht ein tortengroßer, unförmiger, zerklüfteter schwarzer Fladen wie aus einem Horrorfilm.
Als 1954 Szenen für »Eroberer« (The Conquerer) gedreht wurden, hauste die Filmmannschaft, u.a. John Wayne, Susan Hayward, Agnes Moorehead, zahllose Statisten und Shivwit- und Paiuteindianer, drei Monate im Snow Canyon in der Nähe von St. George. Saffer und Kelly berichten in ihrem Buch »Countdown Zero«, dass Wayne sowie seine Söhne Michael und Patrick einen Geigerzähler zur Untersuchung der Umgebung benutzten. Die heftigen Ausschläge führten sie auf eine Erzader zurück.
Für die letzten, im Studio zu drehenden Szenen wurden 60 t verstrahlten Wüstensandes und Felsbrocken nach Hollywood geschleppt. Im Jahre 1980 stellten die Autoren fest, dass von den 220 Mitgliedern der Mannschaft 91 an Krebs erkrankt und 48 bereits tot waren, darunter Wayne, Powell, Hayward und Moorehead. Ebenso litten die Indianer an Erkrankungen. Viele starben, und der Rest lebt mit den Folgen.
Kurz vor Ratifizierung des Vertrages über die Einstellung überirdischer Atombombenversuche zündeten noch 98 Bomben in Nevada. Innerhalb von 17 Jahren hatte es 235 oberirdische Versuche gegeben. Beim nunmehr unterirdischen »Baneberrytest«, 1970 in Nevada, einer von 41 Versuchen, brach die Erdkruste auf und entließ »bleibende Werte« von 6,7 Millionen Curie. Die Reaktorkernschmelze in Harrisburg hinterließ »nur« 30 Curie.
Tausende von Soldaten wurden verstrahlt, denn es ging darum, sie an die Bombe zu gewöhnen. Noch während der Pilz in die Höhe schoß, wurden sie per Befehl zum Explosionsort getrieben. Insgesamt waren 270.000 Soldaten an den Versuchen beteiligt.
Was LV an atomarem Niederschlag abgekriegt hat, verrät uns unser Geigerzähler auch nicht, weil er sich hier immer in seinem Anfall am Ende der Skala verklemmt. »Spaß« beiseite: der Mittlere Westen im allgemeinen, darunter natürlich auch Südutah mit all seinen Naturparks im Besonderen, dürfte reichlich verstrahlt sein. So wurde weiter im Norden, auf dem Testgelände für biologische, chemische und atomare Waffen in Dugway wissentlich Radioaktivität freigesetzt. Acht Mal erprobte man eine Reaktorschmelze. In Toole (gespr. »tu-liea«), südwestlich von Salt Lake City liegt übrigens die größte Beseitigungsanlage für biologische und chemische Waffen; über 40 % des amerikanischen Vorrats lagert dort.
Yucca Mountain, ein 2200 Meter hoher Bergrücken in einem Gebiet von schier unendlicher Einsamkeit und grausamer Schönheit, soll ab 2010 als Atommüllager hochgradig verstrahlter Abfälle aus der militärischen und zivilen Atomindustrie dienen, in der Lyrik der Lobby als »transuranische Abfälle« bezeichnet. Tunnelsprengungen und Testbohrungen hatten 1994 begonnen. Das Wüstengebiet ist weniger jungfräulich, als es scheint. Der Bergrücken liegt am Westrand des Atomversuchsgeländes, von Kratern zernarbt und von unterirdischen Versuchen verseucht. Er ragt auch in die Einflugschneise des riesigen Bomben- und Schießplatzes der Nellis Air Base bei Las Vegas, so dass das Lager bombensicher ausgebaut werden müßte.
Eins ist sicher: die Bombe tickt weiter.
Neugierige schlagen mal bei Fallon, Wendover Rocky Flats, Albuquerque Alamogordo oder San Antonio nach.
Experimente mit 23.000 Bürgern
1994 kam ans Licht, dass zur Zeit des Kalten Krieges an Amerikanern weit mehr Strahlungsexperimente vorgenommen wurden, als bis dahin angenommen. Eine Untersuchungskommission kam in ihrem Zwischenbericht zu dem Schluß, dass zwischen 1944 und 1974 über 23.000 Bürger oft unwissentlich Experimenten ausgesetzt wurden und nicht 80 wie bisher angenommen.
1400 Strahlungsprojekte hat das von Clinton eingesetzte Gremium bereits dokumentiert, darunter 400 von der Regierung in Washington unterstützte biomedizinische Experimente mit Menschen. Sie schlossen Plutoniuminjektionen in den Körper von Patienten einer psyichatrischen Klinik in Memphis sowie die Verabreichung von anderen radioaktiven Substanzen an Schwangere zur Untersuchung der Auswirkungen auf Föten oder die von Jod 131 zum Messen der Auswirkungen der Muttermilch auf die Schilddrüse Neugeborener ebenso ein wie das hundertfache Freilassen radioaktiver Substanzen in die Luft.
So ließen die Atomfabriken Hanford, Oak Ridge, Los Alamos und Dugway bewußt Radioaktivität frei, um den radioaktiven Niederschlag zu messen. Bei einem Experiment in Hanford im Bundesstaat Washington konnten die Wissenschaftler verfolgen, wie eine radioaktive Jodwolke vom Wind bis Nordkalifornien getrieben wurde. Dabei wurde eine hundert-, wenn nicht tausendfach höhere Radioaktivität freigesetzt als 1979 in Three Mile Island (Pennsylvania), Ort des bisher größten Atomreaktorunfalls der US-Geschichte.
Auch Behinderte und Strafgefangene waren leichte Opfer: im Rahmen der von der Regierung gebilligten Experimente waren den Schülern der Fernald-Staatsschule in Massachusetts beispielsweise radioaktive Substanzen in die Milch und ins Müsli gemischt worden, während man die Hoden Gefangener extrem hoch bestrahlte, ohne diese auf das Krebsrisiko hingewiesen zu haben.
Im Frühjahr 1996 machte Los Alamos Schlagzeilen wegen Busch- und Waldbränden, die auf die Anlage zutrieben.