Biosphäre 2
High-Tech-Ökosystem
Kühnes Experiment oder pseudowissenschaftliche Show?
Gott schuf die Erde in sechs Tagen. Ein paar kühne Amerikaner brauchten sechs Jahre für fast dieselbe Leistung. Der Name dieser neuen Welt: Biosphäre 2, mit Blick auf die bekannte Biosphäre 1, die Erde. Hoffen wir, dass der zweiten mehr Glück beschieden ist.
Sechs Jahre hartnäckige Arbeit also, um mitten in Arizona ein riesiges Gewächshaus mit einem Volumen von 140.000 m3 zu errichten, das zugleich einen tropischen Regenwald, einen Ozean, einen Sumpf, eine Savanne und eine Wüste beherbergt. Sogar Wellen werden erzeugt, um dem Korallenriff genügend Sauerstoff zukommen zu lassen.
Ganz abgesehen von einer Hightech-Farm, einem Observatorium und einem sechsstöckigen Gebäude, welches Apartments, eine Bibliothek, Labors und Operationstisch beherbergt. Das Ganze für lächerliche 150 Millionen Dollar, die zum Teil der Öko-Milliardär Edward Bass zur Verfügung stellte, letzter Nachkomme einer steinreichen texanischen Ölsippe.
Wozu das alles? Natürlich zur Vorbereitung menschlicher Ansiedlungen auf dem Mars. Eine simple Fahrt zu dem Roten Planeten dauert nämlich schon dreihundert Tage. Da braucht man ein abgeschlossenes System, das in der Lage ist, von sich aus Wasser, Luft und Nahrung zu erneuern. Außerdem sollen Erkenntnisse über unseren eigenen Planeten gewonnen werden: Biosphäre 2 ermöglicht es zumindest theoretisch Experimente fast in »Lebensgröße« durchzuführen und so Phänomenen wie sauren Regen oder dem Treibhauseffekt auf die Spur zu kommen.
Im September ´91 ließen sich je vier Männer und Frauen dort einschließen, um während zweier Jahre hermetisch von der Umwelt abgeschlossen und selbstversorgerisch inmitten von 3800 Tier- und Planzenarten zu wohnen. Sie sollten ihre Nahrung selbst anbauen, Luft und Wasser innerhalb des Systems reinigen und alle Abfälle in den biologischen Kreislauf zurückführen.
Bereits im Oktober ließ sich eine Bewohnerin eine kleine Schnittwunde am Finger von einem Arzt der Außenwelt behandeln. Im Januar kam heraus, dass sie einen Beutel mit Plastiktüten, Farbfilmen, Blausäure und Computerteilen mitgebracht hatte.
Im Dezember mußte Frischluft zugeführt werden, da die Anlage mit ihren 80 km Dichtungssäumen und 19 km Schweißnähten einerseits nicht dicht und zudem der Kohlendioxidgehalt bedrohlich angestiegen war, was der Öffentlichkeit zunächst verschwiegen worden war. Vorher schon hatte man klammheimlich Luftfilter eingebaut, um den Kohlendioxidgehalt zu senken.
Später stellte sich noch heraus, dass die Truppe einen Vorrat von Lebensmitteln mitgenommen und angebrochen hatte, nachdem manche von ihnen 20% ihres Gewichts verloren hatten, außerdem, dass diverse andere Gegenstände von Schlaftabletten bis zu Mausefallen eingebracht worden waren. Als dann noch herauskam, dass Tiere verstorben und heimlich entfernt worden waren sowie ferner Datenfälschungen erfolgt waren, erreichte das Ansehen des Projekts seinen Tiefstand, zumal kommerzielle Beweggründe Besucher werden für rund 15 $ um die Anlage herumgeführt im Spiele gewesen sein sollen.
Ferner kam heraus, dass die ganze Clique unter des Fuchtel des New Age Obergurus John Allen keine wissenschaftliche Kompetenz aufweisen konnte, sondern nur ein langes Zusammenleben als Schauspielerkommune, die sich 1971 auf der Synergia Ranch bei Santa Fé niedergelassen hatte. Immerhin schaffte es Allen mit seinem Mischmasch aus Buddhismus, New Age und nuklearen Holocaustvisionen, den damals siebenundzwanzigjährigen Bass zur Finanzierung des Vorhabens zu bequasseln und seine vielköpfige Bande gut unterzubringen.
In dem mit »Öko« geadelten Projekt war die Kommunardin Margret Austin für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich, und Mark Nelson, einst zuständig für den Obstgarten der Ranch, hockte nun unter Glas. Von Beginn an versuchten die Bauherren, Kritiker per Scheck oder Androhung kostspieliger Rechtshändel mundtot zu machen. Viele anfänglich interessierte Wissenschaftler wollen ihren Namen nicht mehr in Verbindung mit Biosphere 2 genannt wissen, so zum Beispiel der Leiter der bekannten Londoner Kew Gardens. Der einzige Befürworter mit wissenschaftlicher Qualifikation war der Pathologe (!) Roy Walford, 69, dessen Buch »Wie man 120 Jahre alt wird« neben allen möglichen Allen-Traktaten in den Andenkenläden ausliegt.
Bass zog die Bremse: ein Gremium von Wissenschaftlern, darunter der der NASA und des Smithsonian Instituts, wurden hinzugezogen, ein Wissenschaftler wurde als Projektleiter engagiert und es erfolgte eine regelmäßige Veröffentlichung der Daten.
Im September 1993 verließen die Bionauten wie vorgesehen ihre Behausung.
Im Frühjahr 1996 bezog eine neue sechsköpfige Mannschaft in Begleitung eines Wissenschaftlers den Bau. Neubewohner sind auch vierzig Geckos und fünfzig Frösche, die den Kakerlaken zu Leibe rücken sollen. Auch Hühner und Ziegen sind wieder dabei.
Übrigens: wer mal nach Chattanooga in Tennessee kommt, kann dort ein anderes »Ökosystem« besuchen. Im dortigen Aquarium, zwölf Stockwerke hoch und vom Aussehen einem Kaufhaus ähnlich, sind in fünfzig Wassertanks die Entwicklungsstufen eines Flusses nachgestellt.