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Am Delta: Tanis

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Am Rande des Deltas: Tanis

Mag Ihre Zeit auch begrenzt sein und Sie Umwege über Seitenstraßen für überflüssig halten: Ihr Weg sollte Sie doch bis nach Tanis, am östlichen Rand des Deltas, führen, die letzte, von den Königen der 21. Dynastie und deren Nachfolgern errichtete Hauptstadt Ägyptens. Von Kairo aus führt die Straße über Zagazig, das alte Bubastis, wo schmucke Architekturfragmente ahnen lassen, wie prächtig die Gebäude der einst der Katzengöttin Bastet geweihten Stadt gewesen waren.

Die Hügel des ausgedehnten Tell von Tanis, dem weitesten und höchsten des Deltas, berühren beinahe das Dorf Sân al-Hagar (Sân die Steine), dessen Name in zweifacher Weise an Geschichte und Reichtum erinnert: Sân ist eine Abwandlung des biblischen Tsoan (Tanis); Hagar bedeutet in der arabischen Ortsnamenkunde die Anwesenheit alter Stätten. Bis in die siebziger Jahre vegetierte der kleine Marktflecken inmitten eines trostlosen, sumpfigen Geländes vor sich hin. Später wurde die Umgebung trockengelegt, in Bewirtschaftung genommen und bot so ein netteres Bild. Heute offeriert nur noch der Tell seine karge Landschaft mit zerfurchten Formen, über denen eine dunkle Schönheit liegt, wenn man sie von den ersten Höhenzügen aus erblickt. Wenn sich die Wolken bedrohlich zusammenballen und der Wind an kalten Wintertagen pfeift, dann nehmen die Ruinen, die letzten Anhaltspunkte einer versunkenen Stadt, eine tragische Größe an. Häufig verhüllt dichter Morgennebel, den die Sonne nur langsam durchdringt, die Reliefs und Monumente und legt einen geheimnisvollen Schleier der Unwirklichkeit über die gesamte Stätte.

Tanis wurde mit unter großer Mühsal aus der Nachbarstadt Pi-Ramses herangekarrten Steinen gebaut und galt mit seinem riesigen Amon-Tempel, der von einer hohen, von Psusennes I. errichteten Steinmauer umgeben ist, als Theben des Nordens. Kalkbrenner raubten auch hier die Bauteile aus Kalkstein, so dass nur die Obelisken Ramses´ II., seine Säulen, seine Stelen und seine Kolosse übrigblieben. Sie waren in Granit gehauen und darum einzig in der Lage, dem Zahn der Zeit und der menschlichen Habgier zu widerstehen. Auf dem einstigen Tempelgelände verstreut, wirken sie wie falsche Zeugen einer lange im Dunkeln gebliebenen Geschichte. Stadtgründer war nämlich gar nicht Ramses II., sondern Psusennes, der im Morgengrauen des ersten Jahrtausends das Baumaterial seines berühmten Vorgängers »aus zweiter Hand« entnahm.

Tanis ist die einzige Stätte im Bereich des Deltas, wo seit über einem Jahrhundert systematisch und intensiv gegraben wird. Es wäre aber auch nichts weiter als eine Anhäufung alter Steine, wenn die Phantasie nicht dadurch beflügelt würde, dass hier eines der bedeutendsten Ereignisse der Geschichte der Ägyptologie seit Öffnung des Grabes Tut-ench-amuns im Jahre 1922 stattgefunden hat: Pierre Montet entdeckte hier im Jahre 1939/40 eine königliche Nekropole, darunter mehrere unversehrte Gräber, die, unter Tonnen von Geröll vergraben, ihre Gold- und Silberschätze freigaben und Zeugnis ablegten von der Geschicklichkeit und meisterhaften Handwerkskunst ihrer Zeit. Dieser höchst wichtige Fund – die Ausstellung dieser wertvollen Objekte wurde dem Museum von Kairo anvertraut – erregte nie das Aufsehen, das er verdient hätte: der Zweite Weltkrieg, in dessen Verlauf Millionen von Opfern unter Geröllhaufen den Tod fanden, war der Verbreitung der glücklichen Nachricht von der Ausgrabung des Totenhauses nicht gerade förderlich.