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Das Meer

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Das Meer

Im Gegensatz zu anderen Mittelmeerhäfen wie Istanbul, Beirut, Algier oder Tanger
wurde Alexandria an einer völlig flachen Küste angelegt. Die Menschen wußten
diesen undankbaren Ort auf bewundernswerte Weise umzugestalten, so dass ein halbkreisförmiger
Ankerplatz entstand, heute noch der Stolz der Alexandriner. Hier nimmt die Corniche
ihren Anfang, von hohen Gebäuden gesäumt und gegen den Wind gelehnt. Große Cafés,
deren Vordächer aus Stoff vor der Sonne schützen, orientieren sich zum östlichen
Hafen hin. In den umliegenden Gäßchen kann man manchmal einen Galagala erleben,
einen Zauberkünstler, der inmitten der Menge auf dem Bürgersteig seine Kunststücke
vorführt. Etwas weiter folgen auf einer Länge von zwanzig Kilometern die Strände.
Eine poetische Litanei an Namen ergibt ein buntes Durcheinander von Antike,
osmanischer und kolonialer Zeit: Schatby, Cäsarfeld, Ibrahimieh, Sporting Club,
Kleopatra, Sidi Gaber, Ramleh, Glymenopoulos, Sidi Bichr, San Stefano, Montaza,
Mamoura. Ebenso die Stationen der Straßenbahn, die bis nach Montaza fährt, der
ehemaligen königlichen Domäne. Seit der Revolution ist sie der Öffentlichkeit
zugänglich, mit ihrem weitläufigen Park und dem Strand, an dem das Palestina-Hotel
errichtet wurde, das lange Zeit als Kleinod des ägyptischen Hotelgewerbes galt.
Anschließend erreichen wir den einladenden Strand von Mamoura, weniger übervölkert
als die stadtnahen.

Die Haarpracht Berenikes

Schlußendlich Abukir, ein kleiner geschichtsträchtiger Hafenort. Eine wunderschöne
Legende berichtet, Berenike habe in Abukir als Zeichen der Dankbarkeit für die
Rückkehr ihres Mannes Ptolemäus III. von einem Feldzug den Göttern ihre Haarpracht
geweiht. Die Opfernde verschwand sogleich aus dem Tempel, und ein Astronom meinte
sie am Himmel in Form einer Sternenansammlung wiederzuerkennen, der er den Namen
der Königin verlieh. Seitdem erleuchtet das Haar der Berenike die Nächte Alexandrias.
Abukir steht auch für das antike Kanopus, das heute nicht mehr existiert, von
dem wir aber einige Darstellungen besitzen: die berühmten Nillandschaften mit
ihren von Gärten und Wasser umgebenen Villen wurden auf Fresken und Mosaiken
weit über die Grenzen Ägyptens hinaus bekannt. Mit seinem Serapis-Tempel war
Kanopus auch als Ort von Ausschweifungen bekannt, wie der Historiker Strabon
und später noch unverblümter der Schriftsteller Herondas berichtet.

Ebenfalls in Abukir wurde 1798 Napoleon von den unter Admiral Nelson kämpfenden
Engländern geschlagen. Eine Tauchermannschaft war seit 1986 damit beschäftigt,
das Wrack der Patriote – so hieß eines der an Napoleons Ägypten-Expedition beteiligten
Schiffe, das beladen mit Präzisionsinstrumenten im Hafen sank – zu heben und
brachte eine der Kanonen mit nach oben, die restauriert und von Präsident Hosni
Mubarak Frankreich geschenkt wurde.

Das neuzeitliche Abukir hat anderes zu bieten: man kommt her, um in den griechischen
Strandlokalen Rötlinge, Muscheln, Gambas und Seeigel zu kosten, bei einem Glas
»Ptolemäus-Weißwein aus Gianaclis. Bestimmte Pläne könnten diese Beschaulichkeit
stören: auch wenn die Regierung auf den Bau eines Atomkraftwerkes verzichtet
hat, will sie doch das bestehende Wasserkraftwerk vergrößern.

Weiter im Westen

Am anderen Ende Alexandrias erreicht man, vorbei am westlichen Hafen, bald
den Industrievorort Meks, wo der Staub aus den Zementwerken die Landschaft mit
einem Grauschleier überzieht. Dahinter zieht sich verführerisch der feine Sandstrand
von Agami hin, den Strudel heimtückisch und gefährlich machen. Bis zum Ende
der siebziger Jahre standen hier nur eine Handvoll Villen und ein oder zwei
bescheidene Hotels; aber dann wurde die Ortschaft von einer regelrechten Badewut
erfaßt und durch unkontrolliertes Bauen völlig verschandelt.

Auf ihrem weiteren Verlauf führt die enge, holprige Küstenstraße an Stränden
mit schneeweißem Sand vorbei, deren Wasser türkis oder smaragdgrün schimmert.
Auf der anderen Straßenseite Wüste, mal steinig, mal sandig. Nur ein paar Feigenbäume
durchbrechen die klaren Linien. Bald erreichen wir den römischen Turm von Taposiris,
der das Meer beherrscht, dann Borg al-Arab und schließlich, etwa hundert Kilometer
von Alexandria entfernt, den Schauplatz der Schlacht von Al-Alamein, wo die
Truppen Montgomerys dem Vorstoß Rommels nach Ägypten Einhalt geboten. Von diesem
gigantischen Unternehmen zeugen nurmehr ein kleines Museum und ein Soldatenfriedhof.
Letzterer dehnt sich aus, so weit das Auge reicht.

Noch etwa fünfzig Kilometer weiter bietet Sidi Abd al-Rahman mit seinem komfortablen
Hotel und seinen Bungalows eine erlesene und noch intakte Sommerfrische – falls
Ölklumpen nicht gerade die Küste verschmutzen. Die nächste Etappe ist Mersah
Matruh, das in den gegensätzlichen Farben der Wüste und des Meeres erstrahlt
und Ausgangspunkt ist für die Fahrt zur Siwa-Oase (etwa dreihundert Kilometer
im Landesinneren), wo Alexander sein Schicksal erfuhr. Da der Tempel fast völlig
verfallen ist, bleibt uns nichts, als uns den Kühlung versprechenden Quellen
und Obstgärten hinzugeben, an diesem von berbischen, heute seßhaften und arabisierten
Beduinen bevölkerten Ort. Die Küstenstraße führt weiter bis nach Solum, Stadt
an der lybischen Grenze, wo die häufig konfliktreichen Beziehungen zwischen
beiden Ländern jede Hoffnung auf das Überqueren der Grenze zunichte machen.
Glauben Sie bloß nicht, die Rückfahrt werde monoton: da hätten Sie die Rechnung
ohne die sich stündlich verändernden Farbtöne gemacht. Am Ende der Straße zeichnet
sich Alexandria ab: Stadt der Geschichte und des Mythos´, die reale und geträumte;
das Alexandria unserer Erinnerung, das manchmal, so heißt es, wenn man sich
auf dem Meer befindet wie ein Trugbild erscheint, lange bevor man die Küste
erreicht.