Kairo-Memphis
Kairo-Memphis
Trotz seiner hektischen Ausbreitung hat Kairo die fünfunddreißig Kilometer
  weiter südlich gelegene, einstige Hauptstadt noch nicht erreicht. Allerdings
  wachsen bereits Neubauten jenseits des Gizah-Plateaus in seine Richtung: eilig
  hochgezogene Behausungen ohne ästhetischen Wert, steinerne Investitionen der
  Emigranten, sobald sie vom Golf zurückkehren; preziöse Hotelkomplexe für die
  Touristen; Agrarindustrien wie beispielsweise die Spaghetti-Fabrik am Fuße des
  Sakkara-Plateaus oder die Tag und Nacht produzierenden Geflügelaufzuchtbetriebe.
Das angenehmste Verkehrsmittel von Memphis nach Sakkara ist ein Mietpferd aus
  den Ställen bei den Pyramiden. Man hat die Wahl, entweder durch die Wüste zu
  reiten oder durchs Grüne; der letztgenannte Weg führt an einem Kanal entlang,
  der häufig von Wasserpflanzen überwuchert wird und regelmäßig ausgebaggert werden
  muß, damit er überhaupt benutzt werden kann. Unterwegs streift der Blick hier
  ein bemanntes Boot, dort einen Fährmann  ähnlich wie auf den Bildern der Grabmauern.
Im Dorf Harrania südlich von Kairo erwartet uns eine Überraschung. An diesem
  Ort richtete nämlich Ramses Wissa Wassef, Sproß einer vielköpfigen koptischen
  Familie, wo man mit Stolz Pharaonen- und Götternamen trägt, in den fünfziger
  Jahren ein Webatelier für die Dorfkinder ein. Sie sollten nach eigenem Gutdünken
  Farben und Motive bestimmen. Auf diese Weise entstanden farbenprächtige Werke,
  naiv wohl, aber von ungewöhnlich feiner Tönung, in der sich die reiche, kindliche
  Phantasie ausdrückt und vielleicht, ja vielleicht auch die Erinnerung an eine
  Tradition aus längst vergangenen Zeiten. Das Projekt lohnt sich jedenfalls:
  die Weberei genießt wohlverdientes Ansehen und ihre Exponate gingen um die ganze
  Welt. In Paris konnte man sie mehrmals im Musée des Arts décoratifs und in der
  Galerie La Demeure bewundern. Dadurch stiegen unweigerlich auch die Preise,
  die mittlerweile internationales Niveau erreichen.
Im Palmenhain
Die Ankunft im Memphis gerät leicht zur Enttäuschung. Dahin ist die Stadt,
  deren Schönheit, Anmut und Raffinesse die Ägypter im Altertum entzückten. Verschwunden
  die Bauwerke aus Ziegelstein, weil man sie für den Bau von Kairo benötigte,
  war Memphis doch der nächstliegende und bequemste Steinbruch überhaupt. Der
  steigende Grundwasserspiegel tut ein übriges und wäscht unaufhörlich jene Blöcke
  aus, die bis heute überdauerten. So bleiben nurmehr ein weitläufiger Palmenhain
  mit dicht besiedelten Dörfern und eine wellblechgedeckte Zementhalle zum Schutz
  eines Kolosses von Ramses II., der früher den Propyläen-Eingang des Ptah-Tempels
  bewachte. Beim Umherschlendern stößt man unversehens auf die Überreste eines
  fast vollständig abgetragenen Tempels und auf eine Kapelle mit der Statue des
  Gottes Ptah, des örtlichen Schutzherrn. Hier liegen Säulenkapitelle mit Hathorköpfen
  auf dem Boden zwischen den Alfagrasbüscheln verstreut; dort ragen die Ruinen
  stattlicher Ziegelbauten in die öde Landschaft. Ein Stück weiter liegen große
  Alabastertische, die früher von den Offizianten zum Einbalsamieren der Apis-Stiere
  benutzt wurden, achtlos im Freien.
		

