Der Katarakt
Der Katarakt
Die Insel Sehel einige Kilometer stromaufwärts ist Ziel einer unvergeßlichen
  Überfahrt mit der Feluke. Das den Strömungen und Winden gehorchende Boot beschreibt
  eine Zickzacklinie von einem Ufer zum anderen bis zu dieser Wüsteninsel, die
  von einigen gastfreundlichen Nubiern bewohnt wird. Man klettert inmitten eines
  Chaos´ von Felsbrocken umher, entdeckt Hunderte von Felsinschriften, Darstellungen
  des Kataraktgottes oder pseudohistorische Texte, die von den Hungerjahren in
  Ägypten erzählen, ein Übel, welches das Land von jeher heimgesucht hat. Vom
  Gipfel dieser Felsen reicht der Blick weit über den gewundenen Verlauf des Nils.
  Im hellen Mittagslicht prallen grelle Farben aufeinander sich verstärkend: das
  scheinbar erstarrte, dunkle Blau des Wassers, das Rot und Schwarz der Felsen
  und das falbe Gelb des Sandes.
Die Reisenden des 19. Jhs passierten den Katarakt, gleich ihren Vorfahren in
  der Antike, zu Fuß am Ufer entlang, wobei das Boot auf dem Rücken der Männer
  transportiert wurde. Davon kann heute natürlich keine Rede mehr sein, haben
  doch die beiden Staudämme seinen Lauf unterbrochen.
Philae hat überlebt
Nach Philae folgt man ebenfalls der Straße, die bis zur Schleusenkammer zwischen
  den beiden Staudämmen führt. Von dort aus erreicht man per Boot die Insel Argilha,
  auf der, wie wir gesehen haben, die Bauten von Philae zwischen 1972 und 1980
  wieder aufgebaut wurden. Dieser überdimensionale Transfer wurde ebenfalls unter
  der Leitung der Unesco bewerkstelligt, ist aber in der Öffentlichkeit weniger
  bekannt als der Umzug der Tempel von Abu Simbel, obwohl auch er außergewöhnlicher
  Techniken bedurfte: der Bau eines provisorischen Dammes, die Trockenlegung der
  Insel durch Pumpen, der Abbau der Gebäude, die Registrierung der Steinblöcke,
  ihr Abtransport und Wiederaufbau. All diese Arbeiten trugen zur Rettung der
  seit Anfang des Jahrhunderts gefährdeten Tempel von Philae endgültig bei, die
  wie durch ein Wunder nicht übermäßig darunter gelitten hatten, dass sie zehn
  von zwölf Monate im Jahr unter Wasser standen.
Nie wieder wird man mit dem Boot zwischen den Säulen des Trajan-Kiosks umherfahren
  können. Trockenen Fußes gelangt man in Zukunft zur Insel, auf der jedes Monument
  seinen ursprünglichen Platz und seine Ausrichtung wiedergefunden hat. Das Ergebnis
  ist ein voller Erfolg, ja, die Tempel scheinen schon immer hier gestanden zu
  haben. Selbst der Oleander blüht bereits.
Lassen wir uns von der Ausstrahlung dieses Ortes umgarnen, von seiner heiteren
  Schönheit, eingefaßt von den Wassern des Sees: eine Harmonie, die Besucher nicht
  beeinträchtigen können. Diese drängen sich um den der Isis geweihten Tempel
  aus ptolemäischer Zeit, jener barmherzigen Göttin, die durch ihren Liebreiz
  den Gatten Osiris vom Tode erweckte. Vor dem monumentalen Pylon befindet sich
  ein weiter, von zwei Säulengängen gesäumter Vorplatz. Vom lichtdurchfluteten
  Hof gelangt man ins Halbdunkel der Räume, auf deren Wänden der Tod, die Beerdigung
  und die Auferstehung Osiris´ dargestellt sind. Hier verrichteten die letzten
  Anhänger der ägyptischen Götter ihre kultischen Handlungen, während das Christentum
  bereits triumphierte. An diesem Ort wurden auch die letzten Hieroglyphen in
  Stein verewigt.
		

