Nil-Geheimnisse
Nil-Geheimnisse
Allein der Nil, ohne den nichts wäre, hat verändernde Eingriffe erfahren. Seit
  Menschengedenken versuchte man hartnäckig, ihn zu bändigen, seinen Lauf zu steuern
  und ihn in den Dienst der Menschen zu stellen.
Weit unten im Süden, auf der Höhe von Khartum, fließen der Weiße und der Blaue
  Nil zusammen und setzen ihren Weg gemeinsam fort nach Norden, über sechs Wasserfälle
  hinweg bis Assuan. Der Weiße Nil führt das Wasser mehrerer Seen mit sich, darunter
  Tanganyika- und Albert-See; doch das grössere Volumen hat der Blaue Nil, der
  vom äthiopischen Atbara-Hochland kommt und von den tropischen Regenfällen gespeist
  wird. Vor dem Bau des Großen Staudamms führte der Fluß von Juni/Juli bis Oktober
  Hochwasser. In dieser Zeit überflutete er das ganze Tal und lagerte seinen fruchtbaren
  Schlamm ab. Dieses Naturphänomen war von so lebenswichtiger Bedeutung, dass es
  sich in allen ägyptischen Kosmogonien in Form von Mythen wiederfindet: am Beginn
  aller Zeiten taucht die Welt zum ersten Mal nach demselben Ordnungsprinzip (Maat)
  aus dem regellosen Chaos (Nun) auf, wie das Land, das zum Vorschein kommt, wenn
  der Nil in sein Flußbett zurückkehrt.
So waren die Ägypter in der Antike dem Hochwasserzyklus unterworfen. Wenn das
  Nilwasser stieg, ruhte der Ackerbau. Dann standen dem königlichen Machthaber
  mehrere Monate lang zahlreiche Arbeiter für die riesigen Bauvorhaben zur Verfügung.
  Nach dem Hochwasser wurde gesät. Ein ausgeklügeltes Nil-Kanalsystem gewährleistete
  eine ausreichende Bewässerung für den Rest des Jahres. Die jüngeren Reliefs
  in den Gräbern des Alten Reiches zeigen bereits jene Schadufs, die noch heute
  zum Wasserschöpfen Verwendung finden.
Schon sehr früh verstanden die Ägypter, welcher Nutzen aus den wechselnden
  Wasserständen zu ziehen war, auch wenn sie die geographische Erklärung dafür
  nicht kannten. Den Griechen erschien der Nil nicht minder geheimnisvoll. Seine
  Quellen blieben jahrhundertelang von einer mythischen Aura umhüllt. Immerhin
  kamen die Menschen im Altertum auch ohne das Wissen um die wahren Ursachen aus,
  denn sie kannten deren Mechanismus und Unwägbarkeiten. Wenn eine Dürre Äquatorialafrika
  austrocknete, so waren das eben magere Jahre. Die ägyptischen Texte über Hungersnöte
  und die Gebete an den Gott des Katarakts, damit das Wasser zur gewünschten Zeit
  reichlich fließe, lesen sich wie ein Echo der Träume, die Joseph für den Pharao
  in der Bibel deutet. Das Kalenderjahr begann mit dem Erscheinen Orions am Firmament,
  das mit dem Nilhochwasser zusammenfiel. Als »Hapy« wurde der Nil wie ein Gott
  in Zwittergestalt verehrt; er residierte in den Höhlen am Ersten Katarakt.
		

