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Mit der Feluke

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Tief im Süden

Die Zeit, gibt es sie

wirklich, die Zerstörerin?

Rainer Maria Rilke

Mit der Feluke

Nach dem langen Aufenthalt in Luxor ist der Nilstrom am besten geeignet, die
250 km bis Assuan zurückzulegen. Die meisten organisierten Kreuzfahrten haben
die Verbindung in beide Richtungen regelmäßig im Programm, aber einer Gruppenreise
in diesen reizlosen schwimmenden Bettenburgen sollte man eine tüchtige Feluke
vorziehen, welche die Strecke mit dem Wind oder, bei Flaute, kraft ihrer Ruder
zurücklegt. Natürlich ist es dann günstiger, mit dem Strom zu schwimmen, anstatt
flußaufwärts zu fahren. Nehmen Sie deshalb einen Zug, einen Bus, ein Taxi oder
ein Flugzeug, um direkt nach Assuan zu gelangen, wo Sie mit einem Fährmann,
häufig wird es ein Nubier sein, ins Geschäft kommen, der sich um die Überfahrt
und die eventuell notwendige Verpflegung kümmert. Abends vertäut man die Feluke,
rollt die Schlafmatten aus und nächtigt unter dem Sternenzelt.

Wer sich entschieden hat, flußaufwärts zu reisen, wird merken, dass sich die
Landschaft hinter Luxor kaum verändert. In diesem Landstrich nimmt das Zuckerrohr
eine Vorrangstellung ein, und nach der Erntezeit sieht man hie und da große
Feuer aus Zuckerrohrabfällen, während die Ernte auf den kleinen lokalen Güterzügen
zu den Zuckerfabriken, wie z.B. in Erment oder Kom Ombo, gekarrt und dort verarbeitet
wird. Ansiedlung und Fortentwicklung dieser Fabriken zu Beginn des vorigen Jahrhunderts
hatte nicht nur gute Seiten: etliche Tempel, die zur Zeit des napoleonischen
Feldzuges nach Ägypten noch standen, sind verschwunden, denn man nutzte ihre
Steine für den Bau der Industriegebäude. Zu oft auch hat der extensive Zuckerrohranbau
die Kulturen der Fellachen verdrängt, die ihnen ein bescheidenes Auskommen gewährleisteten.
Diese Agrarpolitik ist um so beunruhigender, wenn man bedenkt, dass ein sinkender
Wasserstand im Stausee den feuchtigkeitsbedürftigen Zuckerrohranbau in Frage
stellen könnte.

Wo sind die Almées?

Esna ist nichts weiter als ein großer Marktflecken mit staubfarbenen Häusern
ohne besonderen Reiz. Seit der französische Schriftsteller Flaubert an einem
Märztag des Jahres 1850 hier an Land ging, hat sich nicht viel verändert. Eng
von Häusern eingeschnürt, aus deren Fenstern die Abfälle nicht selten direkt
auf die Straße befördert werden, liegt der Tempel mit seinen schweren Säulen
und deren fast spätgotisch geschwungenen Kapitellen aus der Zeit des griechisch-römischen
Ägyptens in einer Art Senke: in der Tat sind die neuzeitlichen Dörfer auf den
übereinanderliegenden Schichten ihrer Vorläufer errichtet. Wenn ein Haus verfällt,
baut man das neue einfach auf den Trümmern des alten auf. Auf diese Weise hebt
sich das Niveau im Laufe der Generationen bis zu einigen Metern.

Eingeengt und von Schutt umgeben hat der Chnum – jener Gottheit, die den Menschen
auf einer Töpferscheibe formte – geweihte Tempel den französischen Ägyptologen
Champollion kaum beeindruckt. Flaubert, den die alten Steine eingestandenermaßen
anödeten, äußerte sich noch lakonischer über dieses Bauwerk – bei einer erstaunlichen
Weitschweifigkeit übrigens in einem anderen Zusammenhang. Die Begegnung des
Dichters mit dem opulenten und sinnlichen Kuchuk Hanem wird in seinem Tagebuch
mit einer Detailfreude erzählt, dass Tugendbolde erschaudern. Denn damals erfreute
sich Esna, wie Qena und Assuan, großer Beliebtheit, dank der Animierdamen, der
sogenannten Almées, welche die Männer recht freizügig empfingen. Die Anwesenheit
dieser Frauen in Hochägypten war Folge ihrer Vertreibung aus Kairo durch Mohammed
Ali. Später kehrten sie noch einmal in die Hauptstadt zurück und erlebten dort
glückliche Zeiten, wie Nagib Machfus berichtet: während des Ersten Weltkrieges
weiß der Held des Romans Die Midaq-Gasse seine Zeit geschickt zwischen dem Haus
der Familie und den Häusern seiner Mätressen aufzuteilen. Heute braucht man
nicht mehr nach ihnen zu suchen: der Islam gibt sich prüde, und selbst die Bauchtänzerinnen
mußten lange Zeit ihren Bauchnabel hinter einem dicken, unvorteilhaften Überrock
verbergen. Das einzige, was an die Almées erinnert, sind die schönen mit Fantasieperlen
bestickten Kleider aus transparentem Stoff, welche die Frauen über einem anderen,
undurchsichtigen Kleid bei Hochzeiten trugen und die man noch heute manchmal
auf dem Markt von Esna finden kann.

Esna ist auch Endpunkt der Straße der vierzig Tage – Dair al-Arbain, welche
die sudanesische Region Sennar mit Ägypten verbindet. Viel zu bieten hat es
wahrlich nicht, außer vielleicht an Markttagen, wenn erstaunliche Stückzahlen
an Kamelen Sie gleichgültig mustern werden.