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Versunkene Welt

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Versunkene Welt

Allzuoft wird eine weitere unmittelbare Folge des Großen Staudamms verdrängt.
Dabei geht es nicht mehr um Schlamm, sondern um Menschen, die von der Geschichte
und von der Staatengemeinschaft vergessen wurden. Sie besaßen keine Macht und
standen somit zur Disposition. Die Rede ist von Nieder-Nubien und seinen Bewohnern,
die infolge des Dammprojekts von der Landkarte verschwanden. Die Region war
schon im Altertum ägyptisiert; die in ärmlichen Verhältnissen lebenden Nubier
konvertierten zum Islam, behielten aber ihre Sprache und Traditionen bei. Zwischen
Assuan und Wadi Halfa standen ihre Dörfer: weiß verputzte Häuser mit farbenfrohem
Tellerschmuck. In vielen Fällen waren die Einwohner fortgezogen: die Not trieb
sie nach Kairo, wo sie sich als Pförtner, Hausangestellte und Küchenpersonal
verdingten.

In den Felsen gehauene oder gegrabene Tempel wie die Anlage von Abu Simbel
tragen den Stempel des antiken Ägyptens und seines Einflusses in dieser Gegend.
Der Unesco war es ein Herzensanliegen, diese Überreste zu erhalten. Mit internationaler
Beteiligung wurden riesige Summen zur Verfügung gestellt, um mit viel technischem
Aufwand und menschlicher Mühsal fast Unmögliches zu leisten: die Rettung der
meisten Denkmäler vor den Fluten. So wurde der Amada-Tempel »eingepackt und
auf Schienen gesetzt. Ein Tempel aus Abu Simbel wurde zerlegt und weiter oben
wieder zusammengesetzt – unter einer Betonschale, die geschickt von Felsen überdeckt
wird, deren ursprüngliches Aussehen man wieder herstellte. Zum Abschluß der
umfangreichen Aktion wurde 1980 der Philae-Tempel gesichert. Man trug ihn Stein
für Stein ab und schleppte ihn dreihundert Meter weiter auf eine höhergelegene
Insel.

Wer wollte eine solche Aktion nicht gutheißen? Schließlich geht es um unser
gemeinsames Kulturerbe, das sowieso schon durch Kriege, Unwissen oder Gleichgültigkeit
gnadenlos verstümmelt wurde. Leider nahm man jedoch bei dieser Operation mehr
Rücksicht auf die Steine als auf die Menschen. Die Einwohner mußten ihre karge
Habe zusammenraffen, die Dörfer verlassen und in den östlichen Sudan oder nach
Südägypten ziehen, wo sie am ehesten vergleichbare Klima- und Lebensbedingungen
erwarteten. Sie verloren ihre Heimat, ihre Häuser und ihre Felder. Entwurzelt,
starben die schwächsten von ihnen, Greise und Kinder, noch während dieser Umsiedlung.
Ihr Schicksal ging in der allgemeinen Teilnahmslosigkeit unter.