Vor der Geschichte
Fünf Jahrtausende Geschichte
Verloren die Farben
jener Zeit der früheren Sonnen ...
André Breton.
Ägypten, oder: Die Geschichte
Wo böte sich bessere Gelegenheit als in Ägypten, die Last der Vergangenheit
zu ermessen, die bisweilen sogar die Gegenwart verdrängt oder zumindest bedrückt?
Die Einkehr nach Ägypten, ein Ausflug in die Geschichte, das ist eine Reise
durch fünf Jahrtausende: fast mehr, als der menschliche Geist erfassen kann.
Selbst Ägypter, die sich heute mit unterschiedlicher Berechtigung auf ihre glorreichen
Vorfahren berufen, wirken gelegentlich überwältigt durch die Anhäufung so vieler
Jahrhunderte, so vieler Erinnerungsstücke an eine tote und trotzdem prägende
Vergangenheit. Das Aufblitzen der Geschichte in der Gegenwart nimmt in der mokanten,
aber verwirrenden Gegenüberstellung eines Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts
mit den Mumien Gestalt an, welche die Jahrtausende überdauert haben.
Eine lange Vorgeschichte leitet die Geschichte ein. Sie bietet uns die ersten
Zeugnisse menschlicher Tätigkeit: Überreste von Behausungen, Werkzeuge, Tongefäße,
Bestattungsriten.
Vor der Geschichte
Hier handelt es sich noch nicht um jenes Ägypten, das wir kennen, sondern nur
um den Schmelztiegel für eine neuartige Kultur, die zu Beginn des dritten vorchristlichen
Jahrtausends heraufzieht. Eine Steinzeit im doppelten Wortsinn: Bronze und Eisen
wurden erst spät bearbeitet; dagegen machte dieses Volk von Baumeistern unmäßigen
Gebrauch vom Stein, an dem niemals Mangel herrschte anders als am Holz.
Die geschichtlichen Anfänge stellen in jeder Kultur einen Qualitätssprung dar,
dessen geheimnisvolle Alchimie sich bisher kein Mensch erklären konnte. Das
gilt besonders für Ägypten. Man muß sich wohl mit dem Mysterium allen Usprungs
abfinden. Wieso gerade hier und gerade jetzt? lautet die immer wiederkehrende
Frage in Ägypten, auf die es keine Antwort gibt. Wer weiß, ob uns das Land nicht
gerade deshalb so unentbehrlich und kostbar erscheint gleichsam wie eine uralte,
leicht verschwommene Erinnerung.