Architektur
Architektur
Palmwedel, Wellblech und Beton
Die kreolische Hütte
Die ersten Behausungen Réunions wurden mit Baustoffen errichtet, die den Siedlern im
Überfluß zur Verfügung standen: Holz, Bambus und Gräser bildeten die Grundlage der "case
créole", der kreolischen Hütte. Einfachen Unterkonstruktionen wurden zunächst mit Palmwedel oder gebündeltem Vétivergras bedeckt, später folgten dann die "bardeaux", Holzschindeln aus Tamarindenholz, die zur Verkleidung der Wände und des Daches dienten.
Die traditionelle "case créole" ist auch heute noch überall auf der Insel zu finden; ihre Bauweise hat sich im Laufe der Zeit nicht wesentlich verändert. Zwar wurde die Baustoffpalette um Beton und Wellblech erweitert, der modulare Aufbau, in dessen Kern der Hauptraum mit rechteckigem Grundriß steht, blieb jedoch erhalten. Je nach finanzieller Situation und Familienzuwachs werden diesem Wohnbereich an den Längsseiten weitere Räume und überdachte Veranden angegliedert.
Landgüter, Sommerresidenzen und Stadtpaläste
Majestätische Herrenhäuser, die am Ende langer Palmalleen liegen und von Zuckerrohrfeldern, Pferdeställen und den ehemaligen Behausungen der Sklaven umgeben sind, zeugen noch heute von der kolonialen Blütezeit der Insel. Die Konstruktionsprinzipien und Baumaterialien der "grandes cases", wie die kreolischen Villen genannt werden, waren in ihren Anfängen dieselben, wie die der einfachen "cases créoles". Eine großzügige Veranda führte in der Regel in den Salon, an den rechts und links Privaträume anschlossen. Nach Bedarf konnten die Villen zu den Seiten, nach hinten, oder sogar um ein ganzes Geschoß erweitert werden. Küche und Sanitärbereich befanden sich häufig in Nebengebäuden. Ende des 18. Jahrunderts machten sich dann klassizistische Einflüsse in der Villenarchitektur Réunions breit.
Im Zuge der Französischen Revolution ließen sich viele Adelige auf der Maskareneninsel nieder und brachten aus Frankreich die wiederaufgenommenen Architekturvorstellungen der Antike mit. Die Harmonie der Proportionen, der repräsentative Charakter und die symmetrische, eine großartige Durchlüftung gewährleistende Gestaltung des Klassizismus setzten sich im exotischen Umfeld der Insel schnell durch. Viele der mächtigen Zuckerbarone verfügten neben dem Landgut über einen Sommersitz in den Bergen und eine Stadtvilla. Zu gesellschaftlichen Ereignissen traf sich vor allem in Saint-Denis die feine französische Gesellschaft, warum es wenig verwunderlich ist, dass in der historischen Rue de Paris auch heute noch die prächtigsten Stadtpaläste zu finden sind.
Siegeszug des Beton
Die Entwicklung moderner Baustoffe führte seit den zwanziger Jahren zu einem Wandel der Stadtstrukturen. Die Möglichkeit, kostengünstig und schnell bauen zu können, zog die Errichtung großer Wohnanlagen nach sich; eine Entwicklung, die mit der Bevölkerungsexplosion in den sechziger Jahren ihren Höhepunkt fand. Heute werden jährlich zirka 9000 Wohnungen gebaut, davon über die Hälfte Sozialwohnungen. Obwohl die Massivbauweise gerade in Bezug auf die zerstörerischen Zyklone (Wirbelstürme denen viele der traditionellen Holzhäuser zum Opfer gefallen sind) große Vorteile mit sich bringt, scheint sich bei den heimischen Architekten und Stadtplanern langsam die Erkenntnis zu durchzusetzen, dass maximale Fläche und minimale Kosten nicht die einzigen Kriterien bei der Errichtung moderner Gebäude sein können.
Immer häufiger entdeckt man Neubauten, bei denen versucht wurde, die Umgebung in das Bauwerk mit einzubeziehen oder aber Elemente der klassischen kreolischen Architektur zu integrieren und wieder verstärkt Materialien wie Holz und Blech zu verwenden.
Les lambrequins
Das auffallendste kreolische Element, dass die einfache case créole mit der prächtigen Villa vereint und auch bei Neubauten häufig zur Anwendung kommt, ist das lambrequin, eine Art Ornamentgirlande, die in der Regel Giebel und Ortgang des Gebäudes ziert.
Die symmetrischen Schnitzereien sind in vergleichbarer Form auch in anderen kreolischen
Regionen zu finden, eine so phantasievolle und prächtige und Darstellung wie auf Réunion
sucht jedoch ihresgleichen. Die Vielfalt der lambrequins geht nicht zuletzt auf die indischen Einwanderer zurück, was die Gestaltung der prächtigen hinduistischen Tempel, schon erahnen läßt.
Traditionell werden die Girlanden, die nicht nur als Dekor dienen, sondern ursprünglich einen geregelten Regenabtropf gewährleisten sollten, aus Holz oder Metall hergestellt, der
Fortschritt bringt es aber mit sich, dass heutzutage auch Modelle aus Plastik erhältlich sind.