Der Norden - Saint Denis
Der Norden
Den ersten Eindruck der Insel gewinnt man beim Landeanflug. Bevor wie aus dem Nichts die
Piste vor dem Flugzeug erscheint, eröffnet sich dem Betrachter der, von der Hauptstadt Saint-
Denis geprägte, Norden Réunions. Ein dichter Häuserteppich bedeckt die Küste und verliert
sich in den steil ansteigenden Bergmassiven. Im Westen stößt eine schroffe Klippenlandschaft
an den geballten Siedlungsraum, der die Route du Littoral vorgelagert ist. Wegen ihrer
schwierigen Lage direkt am Meer und den immer wieder durch Steinschläge und Unwetter
verursachten Schäden gilt sie als teuerstes Straßenbauprojekt der Welt.
Ihren Namen verdankt die Stadt einem Handelsschiff, das 1667 in der Mündung des heutigen
Rivière Saint-Denis ankerte. Knapp zwei Jahre später traf der erste Gouverneur der
französischen Kolonie, Etienne Regnault ein, aber erst Mahé de La Bourdonnais ernannte
1735 Saint-Denis anstelle Saint-Pauls zur neuen Hauptstadt Réunions. Von 77 Einwohnern im
Jahre 1690 und 7 000 zu Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerung auf mittlerweile
über 140 000 Seelen an und macht Saint-Denis damit zur größten französischen Siedlung in
Übersee.
Die ehemalige Hafenanlage Le Barachois, in früheren Zeiten immer wieder von Zyklonen
zerstört, bietet heute angenehm mediterranes Flair. Angesichts der Route Nationale, die den
gesamten Küstenstreifen von der Stadt trennt, stellt sie damit die einzige attraktive
Aufenthaltsmöglichkeit am Meer dar, die Saint-Denis zu bieten hat. Vom Barachois führt die
historische Rue de Paris mit ihren herrlichen kreolischen Villen bis zum Staatsgarten, dem
Jardin de l'État. Insgesamt bietet die im Schachbrettmuster angelegte Innenstadt ein sehr
widersprüchlich Bild: Historische Bauten und Straßenanzüge werden von dreckigen
Betonklötzen, die Wohnungen oder Boutiquen beherbergen, abgelöst. Moscheen stehen
inmitten lebendiger Geschäftsstraßen neben chinesischen Kramläden, modernen
Bankgebäuden, heruntergekommenen Hallen oder hinduistisch
en Tempeln. Zur Hauptverkehrszeit, wenn die Geschäfte schließen, verwandelt sich der
gesamte Kern zu einer einzigen, zusammenhängenden Blechlawine, in der sich die Autos
zentimeterweise vorwärtsschieben. Nur wenige Zeit später ergibt sich dann ein ganz neues
Bild: Die Straßen der Stadt sind wie ausgestorben, da nach Anbruch der Dunkelheit die
Bürgersteige hochgeklappt werden, und nur in wenigen Bezirken der Ansatz eines
Nachtlebens stattfindet.
Schön oder häßlich, schmutzig oder charmant, aufregend oder langweilig, dieses ganze
Zusammenspiel verleiht Saint-Denis eine Dynamik, welche die Stadt einzigartig macht.
Im Zuge des Bevölkerungswachstums hat sich Saint-Denis immer weiter ausgedehnt und ist
mit anderen Siedlungen zusammengewachsen, die heute Randzonen der Hauptstadt darstellen.
Gerade dort haben sich soziale Ballungsräume gebildet, die ganz besonders unter hoher
Arbeitslosigkeit leiden. Mangel an Chancengleichheit und Perspektive hat in Chaudron schon
zu blutigen Ausschreitungen geführt.