Neukastilien
Neukastilien
Zentrale Landschaft Spaniens
Die ausgedehnte Hochebene ist extremen Klimabedingungen ausgesetzt: im Winter ein Eisloch, gebärdet sie sich im Sommer als Backofen - »kontinentales Klima« eben. Nicht umsonst besagt ein Sprichwort: »Nueves meses de invierno - tres meses de infierno (Neun Monate Winter, drei Monate Hölle)!« Die Gebirgszüge der Sierra de Guadarrama (Kastilisches Scheidegebirge) schneiden die Hochebene (Meseta) in zwei Hälften: Altkastilien im Norden und Neukastilien im Süden. Als Wiege der Reconquista mußte Kastilien zum Schutz der eben den Mauren entrissenen Gebiete eine ganze Reihe Burgen (Castillos) errichten. Daher der Name dieser spanischen Zentralregion. Und hier spricht man natürlich auch das »eigentliche« Spanisch: das »Castellano«.
Die Kastilier sind auf ihre Sprache dermaßen stolz, dass sie am liebsten überhaupt keine andere Sprache benutzen, selbst wenn sie Englisch und Französisch beherrschen. Und, sollte der Eindruck vorherrschen, dass sie nur selten lächeln, so liegt das natürlich an der Kälte, welche die Gesichter erstarren und erst im Frühling wieder auftauen läßt. Bleibt noch anzumerken, dass die Städte Kastiliens zu den schönsten in Spanien zählen und wundervolle Kathedralen und reiche Museen ihr eigen nennen.
Kastilien ist die zentrale Landschaft Spaniens und in einige autonomen Regionen unterteilt.
Die Kastilier ...
... sind, im Unterschied etwa zu den Basken, kein eigener Volkstamm, sondern standen durch ihre Geschichte hindurch immer mit Asturiern und Basken, die heute noch stark vertreten sind, und auch mit Juden und Mauren in Beziehung.
Man kann nicht von Kastilien ohne Erwähnung des Stolzes (orgullo), Ehrgefühls (honra) und des ausgeprägten Individualismus seiner Bewohner sprechen, beides in Reiseberichten häufig klischeeartig verkitscht und in negativer Ausprägung als la negra honrilla bekannt (übertriebenes, falsches Ehrgefühl). Bei den - in zwischenmenschlichen Beziehungen häufig empfindlichen (susceptible) - Kastiliern findet man genau die Werte, welche die Vertreter der französischen Klassik, allen voran Corneille, einst nicht zu Unrecht in ihren Werken priesen: Mut und Schneid, Treue zur Sache usw. Allerdings kann der Stolz der Kastilier gelegentlich in Beleidigung ausarten, nämlich dann, wenn sie sich - ähnlich etwa wie Engländer und Franzosen - stur weigern, eine andere Sprache als die ihre zu sprechen, und wenn sie sich in bestimmten Situationen als ausgewachsene Machos - man könnte auch von übersteigerter amor proprio (Eigenstolz) sprechen - und als ziemlich humorlos erweisen. Wer weiß, vielleicht ist das ein Minderwertigkeitskomplex der einstigen Kolonialmacht, die es trotz Auspressung ihrer Besitzungen nicht vermochte, beizeiten eigene Industrien aufzubauen und erst heute wieder Anschluß an die wirtschaftlich entwickelteren Länder Nord- und Westeuropas gewinnt.