Inverary
Malerische Landschaften
Cairndow
Vom Schlosse an erstreckt sich eine schöne Wiese bis hinab an den Loch Fyne. Dieser ist eigentlich ein schmaler Meerbusen, der hier tief in das Land hineinläuft. Eine schöne Brücke wölbt sich dicht am Schlosse über ihn. Nahe und ferne Berge dehnen sich an beiden Ufern hin. Die Länge des Loch Fyne ist dem Auge unübersehbar, das ferne Meer, dem er angehört, begrenzt ihn; grün wie dieses spiegelt seine dunkle Fläche, kleine, weiße Wellen hüpfen wie im Tanz und schaukeln lustig die Fischerboote, kleine Schiffe und Barken, die darauf schwimmend der Szene neues frisches Leben geben.
Dem Schloß seitwärts über der Brücke liegt das Städtchen Inverary, mit dem kleinen Hafen voll Fahrzeugen mancher Art. Es hat ein sehr zierliches, nettes Ansehen mit seinen geraden Straßen und den weißen hübschen Häusern, unter denen der Gasthof sich stattlich erhebt. Alles sieht aus, als wäre es erst gestern fertig geworden. Und so ist´s beinahe auch. Sonst lag die Stadt dem Schlosse gegenüber, aber der Herzog, dem sie an der Stelle die Aussicht zu verderben schien, ließ sie abtragen und an ihrem jetzigen Platze wieder aufbauen. So etwas kann man denn doch wohl nur in Großbritannien erleben.
Arrochar*
Von Inverary bis Cairndow fuhren wir neun englische Meilen auf schönem ebenen Wege durch ein fruchtbares, angebautes Tal, fast immer längs dem Ufer des Loch Fyne. Wir hätten geglaubt, irre zu fahren, wenn das hier möglich wäre, wo nur eine fahrbare Straße durch das Gebirge führt: denn der Kastellan im Schloß von Inverary hatte uns den Weg, welchen wir jetzt nehmen mußten, als den fürchterlichsten im ganzen Lande beschrieben; dunklere Klüfte, steilere, öde Felsenberge sollten wir noch nicht gesehen haben, besonders sprach er viel von einem hohen Berge, er nannte ihn rest and be thankful, ruht und dankt.
Gleich hinter Cairndow merkten wir indessen gar wohl, dass wir uns auf dem rechten Wege befanden. Das Steigen begann, der See, das schöne Tal und alle Anmut der Gegend verschwanden unserem Blicke. Mehrere Stunden hindurch ging es immer höher und höher, über nackte Felsen, durch dunkle enge Klüfte, zuweilen durch düstere Täler, dann wieder hoch auf Bergen. Nur feines grünes Moos deckt wie ein Teppich das Gestein, sonst keine Vegetation, kein Leben, Totenstille und öde Einsamkeit herrschten ringsumher. Kein Laut ertönt in diese Wüste als das Brausen der Felsenbäche, die hin und wieder hinabstürzen; keine Spur menschlichen Daseins ist sichtbar, außer zuweilen eine jener armen Hütten, neben dem schäumenden Bache in eine Felsenecke gedrückt, einsam verloren. Diese traurigen Wohnungen machen die Einsamkeit noch auffallender. Im Winter müssen ihre Bewohner, ausgeschlossen von aller Möglichkeit, zu Menschen zu kommen, ein Leben führen wie auf einer wüsten Insel, und noch verlassener hier in diesem Lande, wo der Himmel auch im Sommer nicht freundlich lächelt. Dennoch verändern sie ihren Aufenthalt nie. Bei aller Öde trägt diese Gegend aber auch den Charakter unbeschreiblich erhabener Größe. Die mächtigen Felsen stehen ringsumher wie anbetende Riesen, in schauerlichem Schweigen; die rote Blüte des Heidekrauts bedeckt ihre kolossalen Konturen mit einem Purpurmantel, ohne sie zu verhüllen; ihre Häupter sind umwogen von ewigen Nebeln, die ihm Sonnenstrahl zur Glorie werden; ein leiser, feuchter Duft schwebt über Berg und Tal, mit magischem Schimmer alles harmonisch vereinend.
Endlich hatten wir den steilsten Gipfel des Weges erreicht; rest and be thankful lasen wir auf einen Stein gegraben und daneben die Namen der Regimenter, welche unter der Leitung ihrer Obern diesen Weg bahnten.
Hier begegneten wir dem einzigen Wanderer auf dem ganzen Wege durch diese Wüste, einem jungen, raschen, in seinen Plaid gehüllten Hochländer. Er sprach ein wenig Englisch und half uns bereitwillig, eine nahe Anhöhe zu ersteigen, wo eine ausgebreitete Ansicht sich uns eröffnete.
Doch übersahen wir die imposanten Massen, die schwarzen zackigen Kronen unzähliger anderer, von aller Vegetation entblößter Berge; die Wasserfälle, die von ihrer Seite herabtanzen und sich in dunklen Tiefen verlieren, ohne dass wir ihr Brausen auf dieser Höhe vernehmen konnten. Zwischen diese Felsen eingeklemmt liegt auch das schauerliche Tal Glencoe, dessen Einwohner zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in einer Nacht unter dem meuchelmörderischen Schwerte der nach Rache dürstenden Engländer fielen, weil sie mit Treue dem Könige anhingen, den sie als den einzigen rechtmäßigen Erben der schottischen Krone anerkannten.
Wie Vogelnester erschienen von hier aus die wenigen kleinen Wohnungen am Fuße der Felsen oder am Eingange der schauerlichen, düsteren Täler, die so enge sind, dass sie, größeren Felsspalten gleich, wohl nur wenig Stunden des Tageslichts sich erfreuen. Hin und wieder sahen wir auch in der Ferne Herden jener kleinen Schafe kümmerlich die Spitzen der Heidekräuter benagen. Nur auf einem Punkte schimmerte uns dunkelblau ein Wasser und etwas Grün entgegen: es war Loch Long, an dessen Ufer Arrochar liegt, das Ziel unserer heutigen Reise. Nun ging es tief hinab, immerfort über öde Felsen, durch düstere Klüfte und enge Täler, bis zu den Ufern des Loch Long, der wie ein Strom sich durch ein Felsental windet.