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Ein dreifacher Scotch...

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Ein dreifacher Scotch ...

Auf einer Landkarte nehmen sich die Farben Schottlands genauso wenig beruhigend
aus wie seine Umrisse: eine zähe Masse aus Braun, Ocker und Gelb, mit
blauen Flecken durchsetzt. Nur mit Mühe läßt sich das schmale
grüne Band erkennen, das dem Land seine Wespentaille verleiht, indem
es dieses von der Clyde- bis zur Forthmündung einschnürt. Über
letzteren Mündungstrichter hinaus führt eine knappe grüne Borte
parallel zur Nordseeküste hinauf bis zum Moray Firth, wobei sie unterwegs
die Umgebung der Städte Dundee, Aberdeen und Inverness fruchtbar macht.
Überall sonst berühren Berge und Hügel, lochs (Seen
oder Fjorde) und firths (Flußmündungen oder Meeresbuchten),
straths und glens (breite oder enge Täler) einander in
langen, von Südwesten nach Nordosten gerichteten Bändern.


Diese Diagonalen lassen drei Großräume entstehen: Berge und Hochebenen
im Norden ? die sogenannten Highlands ? Hügel im Süden ?
die Southern Uplands ? und dazwischen eingeklemmt die Senkungszone
der Lowlands. Genau in dieser zentralen Ebene ? eigentlich zu Unrecht
»Tiefland« genannt, da es dort mehrere vulkanische Anhöhen gibt ? trifft
man auf die besten Ackerböden des Landes, den wesentlichen Teil seiner
Bodenschätze sowie 80% der Bevölkerung. Zwischen Ayr und Dundee
drängen sich vier Millionen Eiwohner auf knapp zehn Prozent des schottischen
Bodens.


Was die Umrisse des Landes angeht, so sind diese zugleich vielsagend und trügerisch:
sie führen die kaum vernarbten Wunden im jahrtausendealten Kampf zwischen
den Elementen vor, bei dem allerdings nicht derjenige siegte, den die Karte
dazu zu bestimmen scheint. Trotz ihrer zerfurchten Erscheinung ist die Westküste,
vor der sich mehrere hundert Inseln erstrecken, wesentlich unempfindlicher
als ihre östliche Schwester: die Nordseeküste, mit ihren Klippen
aus weichen, kräftigen Temperaturschwankungen ausgesetzten Felsen, weicht
unaufhörlich zurück, wohingegen die Atlantikküste, ein altes
Granit- und Basaltmassiv, um so unerschüttlicher ist, als hier die Temperaturunterschiede
wegen des Golfstroms wesentlich geringer ausfallen. Die Durchschnittstemperatur
auf der Insel Islay, Teil der Inneren Hebriden, entspricht jener auf der im
Ärmelkanal gelegenen Insel Wight. Mitten im Winter läßt sich
der tropische Garten von Inverewe in den nordwestlichen Highlands besichtigen,
während zeitgleich die Stadt Aberdeen, zwar südlicher, aber an der
Ostküste gelegen, wegen eines auf direktem Wege vom Nordpol hereinbrechenden
Schneesturms mit den Zähnen klappert.

... mit jeder Menge Wasser

Kehrseite der Medaille ist, dass im Westen höhere Niederschlagsmengen
gemessen werden als im Osten. Es regnet in Edinburgh, Inverness und Aberdeen
gewiß genauso ausgiebig wie in Aachen, Osnabrück oder Hamburg.
Das heißt halb so viel wie in Glasgow, Oban und Stornoway. Ob als Nieselregen,
Platzregen oder Sprühregen, Schauer, Wasserguß oder Wolkenbruch
? der Regen kann auf den Westen endlos scheinende Tage, ja wochenlang niederfallen;
besonders im Laufe des Herbstes, der gegen Mitte August beginnt, und des Winters,
der Ende März ausklingt. Niemand mißt diesem Umstand die geringste
Aufmerksamkeit bei. Die Schiedsrichter erklären Spielfelder für
bespielbar, auf die sich noch nicht einmal eine Wasserballmannschaft wagen
würde; Schüler gehen in Shorts und Halbschuhen auf Exkursion in
die Berge; und die Glasgower Geschäftsleute, weniger steif als ihre Kollegen
aus der Londoner City, streifen kurzerhand einen Anorak über ihren Tweedanzug.
Was die Schafe mit den schwarzen Köpfen und die rotbraunen Hochlandrinder
betrifft, durch ein Fell fast ebenso dicht wie jenes der tibetanischen Jaks
geschützt, so verbringen diese unverdrossen das ganze Jahr im Freien.


Die Kontemplation, so sagt man, ist die höchste Tugend der keltischen
Völker. Seien Sie ebenso stoisch wie sie im Umgang mit dem Regen, lernen
Sie, ihn zu empfangen, zu schätzen und herbeizusehnen ? kurz und gut,
ihn sinnend zu betrachten. Die Belohnung dafür wird um so augenfälliger
sein, wenn der Himmel schließlich aufklart, vor allem von Mai bis September.
Heidekraut, Farn und Ginster übersäen die Hügel gleich einem
Mosaik aus zarten Farbtönen, wie der äußere Rahmen eines Hirtengedichts
angelegt zwischen dem Türkisblau eines Sees und dem Pastellblau des Himmels.
Ein Bouquet berauschender und bezaubernder Wohlgerüche, subtil zwischen
Lieblichkeit und Melancholie dosiert, zwischen Geheimnis und Erhabenheit,
setzt sich nach und nach an die Stelle des herben und sinnlichen Geruchs nach
feuchtem Gras. Das dann zutagetretende Schottland entspricht dem Bild, welches
die wunderschönen Kalender in die ganze Welt hinausbefördern, jene
Kalender, die anläßlich der hohen Feiertage den Millionen von in
der Diaspora lebenden Schotten zugesandt werden: das romantische Land der
"bens" und "glens", der Spukschlösser, der Seeungeheuer
und der Dudelsackspieler. Westschottland ? sentimental, jovial und künstlerisch,
stolz und unbekümmert - als beruhigender Gegenpol zu Ostschottland, das
gerne als kalt, berechnend, prosaisch und gewinnsüchtig tituliert wird?
Häufig wird Glasgow, die spöttische und gutmütige Arbeitermetropole,
Edinburgh gegenübergestellt, jener affektierten, gutbürgerlichen
Stadt, die Achtbarkeit und Langeweile verbreitet. »East windy and West
endy«
, sagen die Glasgower Arbeiter über die Hauptstadt, der sie
ihren »Ostwind« und ihre »schönen Stadtteile« vorwerfen. Was die Einwohner
von Aberdeen angeht, so erzählt man sich über sie dieselben stereotypen
Geschichten, die wir über Schottland allgemein in Umlauf bringen. (»Was
ist der Unterschied zwischen einem Aberdeener und einer Kokosnuß? ?
Die Kokosnuß ist stets dazu bereit, Ihnen etwas zu trinken anzubieten.«)


Es stimmt, dass der Osten sich rauher gibt als der Westen. Dort ist es
kälter, die Gegensätze sind heftiger, die Landschaften nüchterner,
die Farben weniger sanft und die Küsten hoffnungslos gradlinig und bar
jeglicher Insel. Die angelsächsische Strenge bildet das Gegenstück
zur keltischen Urwüchsigkeit.