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Dundee

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Dundee und der mittlere Osten

Es heißt, dass die Menschheit einem berühmten Unbekannten
aus Dundee die Erfindung der Marmelade verdanke. Ein anderer Bewohner von
Dundee schuf den Kartoffelsack: er verfiel auf den Gedanken, die Jutefasern,
welche die lokalen Reeder aus Bengalen einführten, in einem Waltranbad
weicher zu machen und sicherte so den Wohlstand des viktorianischen Dundee,
dem ersten Jutestoffhersteller auf der Welt. Dundee war seinerzeit ein bedeutender
Walfischhafen, dessen Geschichte im Museum von Broughty Castle nachgezeichnet
wird. Die Unabhängigkeit Indiens setzte dieser Vormachtstellung ein Ende.
Obgleich Dundee immer noch ein Drittel seiner Arbeitskräfte in der Juteindustrie
beschäftigt, spürt die Stadt zunehmend stärker die Einflüsse
bengalischer Konkurrenz. Die Umstellung auf die Teppichboden-, die Elektro-
und die Erdölindustrie erlaubte es der Stadt nicht, ihren einstigen Ruhm
wiederzuerlangen. Einziger Trost: ein lokaler Verleger besitzt das Monopol
auf dem britischen Markt im Bereich der Kinderpresse. Besonderheit: seine
Angestellten haben nicht das Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Man muß dazu anmerken, dass die ortsansässige Arbeiterbewegung
lange unter dem Übergewicht der Frauen auf dem Arbeitsmarkt litt: die
traditionellen Gewerkschaften standen der Frauenarbeit im allgemeinen feindlich
gegenüber und legten nur selten Bereitwilligkeit an den Tag, wenn es
darum ging, die Kämpfe der Spinnerinnen und Weberinnen von Dundee zu
unterstützen.

Wenn man Aberdeen als das Edinburgh des Nordens bezeichnet, dann ist Dundee
eindeutig das Glasgow des Ostens: Arbeitslosigkeit, Slums, religiöse
Spannungen, Fußball, Labourhochburg. Aber im Gegensatz zu seiner Kusine
am Clyde ist die city of jute, jam and journalism eine formlose Stadt,
der es an Einfallsreichtum, Konsistenz und Mythen fehlt. Obschon jüngste
Bemühungen eine gewisse Erneuerung andeuten – zwei alte Schiffe wurden
als schwimmende Museen eingerichtet; Bau eines Theaters – liegt der Wert der
Stadt vornehmlich in der weiten Aussicht, die sie auf die Umgebung beschert
...

Perth, an der Mündung des Tay gelegen, ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt
am Fuß der Highlands, gerät montags und freitags in Bewegung, wenn
der Viehmarkt einen guten Teil des schottischen Viehbestands anzieht. Wer
dort das Scott und Bizet so teure Schöne Mädchen von Perth
sucht, meide möglichst den Februar oder aber versuche, bei ihr eingeladen
zu werden: man wird nicht ein Hotelzimmer im Umkreis finden, das nicht von
irgendeinem texanischen oder argentinischen Pferdehändler beschlagnahmt
wurde, der gekommen ist, seinen jährlichen Vorrat an Shorthorn-
oder Aberdeen-Angus-Rindern aufzustocken.

Seit 1960 verbindet eine Straßenbahnbrücke Dundee mit der Grafschaft
Fife, am südlichen Ufer des Firth of Tay. Toi, toi, toi: die Windstöße
aus dem Nordwesten können tödlich sein. Sie verursachten 1879 den
Einsturz der Eisenbahnbrücke, wobei sie einen Zug, prall gefüllt
mit Fahrgästen, in die Flußmündung hinabstießen. Die
Grafschaft Fife, von ihren Bewohnern gerne »das Königreich« genannt,
isoliert zwischen zwei firths, hält auf ihre Eigenständigkeit
und ist stolz auf ihre Geschichte – in einem solchen Maße, dass
der Gesetzgeber 1975 davon absehen mußte, Fife in die neue Region Tayside
einzugliedern. Am Ende der Bucht liegt Saint-Andrews. Der Ort döst auf
seinen Lorbeeren der alten geistlichen, politischen und universitären
Hauptstadt, was ein eingefallenes Schloß und eine Kathedralenruine symbolisieren
sowie eine einst hochkarätige, aber heutzutage recht bescheidene Universität.
Es ist ihm jedoch gelungen, einen Titel zu behalten, nämlich den der
Welthauptstadt des Golfes. Sie müssen sich zwar ausweisen, um auf den
Royal and Ancient Golf Course vorzudringen, dafür sind aber die
vier anderen links des Stadtgebiets allen zugänglich, und unvergleichlich
günstiger als die Plätze hierzulande.

An der Spitze der Grafschaft schmückt sich East Neuk mit winzigen Fischerhäfen,
die zu den malerischsten Schottlands zählen: Crail, Anstruther, Pittenweem.
Einziger Nachteil – oder zusätzlicher Anreiz: das Lokalkolorit verschwindet
oftmals unter dem haar, einem Nebel, den man mit dem sporran
schneiden könnte. An der Mündung des Firth of Forth bietet Dunfermline,
die Hauptstadt des Königreichs Malcolm Canmores, neben den Ruinen einer
normannischen Abtei und dem Geburtshaus Andrew Carnegies, die Wahl unter mehreren
sehenswerten Routen. Die nördliche führt durch ein Gebiet, das unlängst
noch eines der aktivsten Steinkohlebecken Großbritanniens war, in Westminster
lange Zeit durch Willie Gallacher, den einzigen kommunistischen Abgeordneten
im Unterhaus, vertreten (jenen Linksrevolutionären also, den Lenin in
Der Linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus zurechtweist).
Als Mrs Thatcher 1979 an die Macht gelangte, arbeiteten an die zehntausend
Bergarbeiter in den Gruben von Fife. Zehn Jahre später blieben nicht
einmal mehr zweitausend von ihnen in Longannet übrig. Der erhabenere
Weg gen Westen führt nach Culross, seit dreihundert Jahren nahezu unverändert
geblieben, dann weiter nach Stirling, einem weiteren »Tor zu den Highlands«,
überragt von einer imposanten Burg, wo natürlich Maria Stuart gefangengehalten
wurde, und von wo aus man die Schlachtfelder von Bannockburn und Stirling
Bridge überschaut, und, den sich am Horizont zwischen Ben Lomond und
Loch Katrine abzeichnenden »romantischen« Waldstreifen von Trossachs, der
Scott, Wordsworth, Hawthorne und Jules Verne inspirierte. Die Straße
nach Süden ist noch ziemlich neu: seit 1964 überspannt eine Straßenbrücke
(die Eisenbahnbrücke stammt aus dem Jahre 1890) die Forthmündung,
und holt so, gegen eine gering Maut, die Grafschaft Fife bis auf eine lächerliche
halbe Stunde nach Edinburgh heran.