Sic transat transit
Sic transat transit
Ein trügerischer Wohlstand. Denn jene Mäzene, die Impressionisten
sammelten (unter ihnen der Highlander W. McTaggart) und die Freiluftmaler
der »Glasgower Schule« (W.Y. Macgregor, W.S. MacGeorge, usw.) unterstützten,
versäumten es, ihre Investitionen breiter zu streuen und ihre Fabriken
zu modernisieren. Wenn ein Stützpfeiler der lokalen Wirtschaft nachgäbe,
bräche sofort die ganze Struktur zusammen. So geschah es denn auch im
Anschluß an den Ersten Weltkrieg: als die Schiffswerften mangels Aufträgen
eine nach der anderen ihre Pforten schließen mußten, zogen sie
bei ihrem Fall Zechen und Stahlwerke, Maschinenfabriken und Kupferschmieden
mit sich sowie eine lange Kette von Zulieferern. Zu zigtausenden hundertdreißigtausen
im Jahr 1933, was ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung ausmachte!
standen die Glasgower Arbeitslosen Schlange vor dem broo (vom französischen
»bureau«), um dort den traurig berühmten dole abzuholen, die Arbeitslosenunterstützung.Nur wenige Industrielle ließen sich von den Hilfsmaßnahmen der
Regierung zur Dezentralisierung verlocken, denn Glasgow lag weit entfernt
von den bedeutenden europäischen Märkten, sein Ruf, ungesund und
gewalttätig zu sein, erschreckte die Führungskräfte, und allem
voran galten seine Arbeiter als gefährliche »Rote«: waren sie nicht mehrere
Millionen 1923 bei der Beerdigung des Revoluionäres John Maclean, dem
Verfechter des pankeltischen Kommunismus und der »Republik der schottischen
Arbeiter«? Hatten sie nach den Wahlen von 1922 nicht rund fünfzehn Abgeordnete
der Independent Labour Party nach Westminster entsandt (ihr Spitzname
lautete die »die wilden Clydesiders« oder die »Clydebrigade«, so extrem äußerte
sich ihre angriffslustige Gesinnung), sowie Gipfel des Schreckens den
ersten kommunistischen Vertreter, der in der ehrenwerten Versammlung Platz
nahm? Die britische Presse widmete dem Phänomen, das man von da an gemeinhin
Red Clydeside nannte, das Rote Tal des Clyde, beunruhigte Artikel.
Kurz und gut, es gab genügend Punkte, um selbst den verwegensten Investoren
zu entmutigen.Auf diese Weise retteten sich die zum Sterben verurteilten Schiffswerften
am Clyde über Streiks bis hin zum Bankrott und über Fusionen bis
hin zu Massenentlassungen hinüber zum Beginn der achtziger Jahre. Seinen
Wahlsprüchen getreu, »Kein Mitleid mit lahmen Enten«, hatte sich der
konservative Premierminister Edward Heath 1971 geweigert, die übriggebliebenen
Werften wieder flott zu machen, die durch die Initiative seines Labourvorgängers
Harold Wilson in eine große Firma, die Upper Clyde Shipbuilders,
umgewandelt worden waren. Die Arbeiter besetzten vergebens die shipyards
und führten die Produktion noch über ein Jahr lang fort umsonst,
denn die UCS erholte sich nie wieder. Die Firma wurde liquidiert, die ein
oder andere Werft verstaatlicht, wieder eine andere an die amerikanische Gesellschaft
Marathon verkauft, die seitdem unaufhörlich »die Belegschaft abspeckt«.
Seit 1961 hat die Clydemetropole hunderttausend Arbeitsplätze in der
Schwerindustrie eingebüßt. Von ihren Einwohnern ist eine Viertelmillion
weggezogen, um ihr Glück anderorts zu suchen, davon fünfundfünfzig
Prozent ins Ausland. In Liverpool, das auf der Liste jener Städte, die
man flieht, Glasgow auf den Fersen ist, liegt die Abwanderungsrate noch nicht
einmal halb so hoch! Damit am Clyde auch weiterhin Schiffe gebaut wurden,
waren die »wilden Clydesiders« von 1978 darauf angewiesen, von der Regierung
die Erlaubnis zu erkämpfen, für Pinochet die noch unter Allende
georderten Vorpostenboote herzustellen. Die Politik Margaret Thatchers, heute
Baronin, hat die Dinge auch nicht gerade verbessert: seit 1979 haben sich
die Gelder zur Regionalentwicklung um die Hälfte verringert. Ende 1986
war fast einer von drei Glasgowern im erwerbstätigen Alter arbeitslos
davon die Hälfte seit über einem Jahr. Wie sagen doch die Glasgower
Proletarier seufzend und hochphilosophisch bei einem pint of lager
(helles, recht schwaches Bier) oder heavy (stärker und bitterer):
»Ach well, it´s a sair fecht« (»Das Leben ist ein harter Kampf«).