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Die schottische Sprache

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Die schottische Sprache

Jeder Lowlander spricht eine bis zwei Varianten des Angelsächsischen,
egal ob sein weit zurückliegender ethnischer Ursprung im Mittelalter
auf die Pikten, Skoten, Angeln oder Briten zurückgeht oder ob er irischer,
flämischer, norwegischer oder französischer Herkunft ist. Zunächst
einmal Englisch, das er mit einem mehr oder weniger stark markierten Akzent
aussprechen wird, je nach seinem soziokulturellen Umfeld. Halten wir nebenbei
jedoch einmal fest, dass selbst die feine Gesellschaft mit Akzent spricht.
Wir befinden uns nicht mehr im 18. Jahrhundert, als der Ire Thomas Sheridan
den Honoratioren Edinburghs Sprechunterricht erteilte, um ihre kaledonischen
Stimmmodulationen auszumerzen, die zu jener Zeit in den Salons der Gesellschaft
als unschicklich galten. Ganz im Sinne der Rückkehr zu den Ursprüngen
unserer Tage ist der Akzent des Herkunftsgebietes wieder in Mode gekommen,
sogar im Rundfunk der BBC. Um so besser, denn das, was gemeinhin als »kultivierter
schottischer Akzent« bezeichnet wird, bietet zahlreiche Vorteile gegenüber
dem »Englisch der Königin«: klare und stimmhafte Vokale, sich weniger
hinziehende Diphtonge, eine recht rhythmische Satzmelodie und vor allem die
Rehabilitierung des »r«, jenes Lauts, den zu verschlucken die englischen Lords
vorgeben, während er doch der Stolz manch eines Dialekts ist. Das Englisch,
so wie es ein Pfarrer oder Anwalt aus Edinburgh oder Inverness skandiert,
besitzt trotzdem ein ganz anderes Tempo als jene von einem in Oxford ausgebildeten
Kollegen gekaute Spielart.

Wünscht Ihnen ein Schotte gude nicht, so entlarven Sie ihn nicht
als einen deutschen Spion! Wenn er Sie zu Ihrem douce and bonnie face
beglückwünscht, so glauben Sie nicht, er rufe sich einige Brocken
Schulfranzösisch ins Gedächtnis! In beiden Fällen bedient er
sich der zweiten – einst ersten – Sprache der Lowlanders, des Schottischen
– scots oder lallans. Das Schottische, hervorgegangen aus einem
alten englischen Dialekt, der im 7. Jahrhundert zwischen Tyne und Forth gesprochen
wurde, dem Nordhumbrischen, wurde durch normannische, skandinavische, flämische
und französische Entlehnungen bereichert. Als offizielle Sprache des
schottischen Königreichs erlebte es unter Jakob IV. (1488-1513) eine
spektakuläre dichterische Blütezeit. Robert Henrysons erzählende
Gedichte, William Dunbars Allegorien, Gavin Douglas´ schottische Übersetzung
der Äneis und die Satire of the Three Estates des Dramaturgen
David Lindsay stellen die Meisterwerke des Mittelschottischen dar – und seinen
Schwanengesang. Es wurde durch die Reform von 1560 unterminiert, bei der die
englische Bibelübersetzung durchgesetzt wurde. Ferner litt es unter der
Personalunion von 1603, wobei der Königshof und seine Mäzene nach
London übersiedelten, sowie unter der Realunion der Parlamente im Jahre
1707 (), in deren Folge offizielle Urkunden auf Englisch verfaßt wurden.
So verlor es seine Eigenschaft als Staatssprache und wurde auf den Rang einer
Sprache des gemeinen Volkes herabgewürdigt. Die bedeutenden schottischen
Denker des 18. und 19. Jahrhunderts, David Hume, Adam Smith, Thomas Carlyle,
verfaßten daraufhin ihre Werke in englischer Sprache. Von Hume wird
sogar gesagt, er habe, als er im Sterben lag, »nicht seine Sünden, sondern
seine »Schottizismen gebeichtet«. Bestseller des Jahres 1787 war eine Sammlung
schottischer Redewendungen, die es um jeden Preis zu vermeiden galt. Ansonsten
lief man Gefahr, als ungebildeter Bauerntölpel zu gelten. Im gleichen
Jahr jedoch veröffentlichte der Bauer Robert Burns seine Poems Chiefly
in the Scottish Dialect
. Ihr phänomenaler Erfolg gab der Sprache
wohl eine gewisse Lebenskraft zurück, aber Burns Nachfolger betonten
um die Wette ihren ländlichen Charakter und beschleunigten so ihre dialektale
Zerstückelung.

In unseren Tagen ist die unverfälschte und homogene schottische Sprache
im Begriff auszusterben, ungeachtet der bemerkenswerten Anstrengungen und
Verdienste Hugh MacDiarmids und seiner Nacheiferer, von denen später
noch die Rede sein wird. In den Städten herrscht ein gemischter Dialekt
vor, den man grob als mit schottischer Färbung gesprochenes Englisch
definieren kann, je nach Milieu mehr oder weniger stark mit kaledonischen
Ausdrücken und Redewendungen gewürzt. Schottisch ist dort weiter
nichts mehr als eine köstlich-amüsante und ausdrucksstarke urbane
Mundart (außer in Aberdeen, das in enger Symbiose mit seinem Hinterland
lebt), weitgehend eingeschränkt und von ihren Quellen getrennt. Sie ist
leider das bevorzugte Mittel der Komiker und Autoren von Fernsehstücken,
denen es an Lokalkolorit fehlt. Wer also Schottisch fast im Reinzustand hören
möchte, unternehme einen Ausflug in möglichst abgelegene Landstriche,
wo Schottland mit am hinreißendsten ist, ins Gebiet der Lowlands, nach
Galloway (Südwesten) und Buchan (Nordosten). In dieser Region erfreuen
sich die traditionellen Lieder der Fischer und Landarbeiter, die bothy
songs
, Schlafsaallieder, nach wie vor großer Beliebtheit. Auch die
Jugend verleugnet sie nicht: ein samstäglicher Tanzabend in Buchan erweist
sich als hervorragender Anschauungsunterricht für Musikologen und Ethnologen.
Geigen, Akkordeon, Flöten und Dudelsäcke bringen Jung und Alt dazu,
im Takt der Reigentänze, Polkas und gigs in Schweiß zu geraten.
Schließen Sie sich probehalber einer Gruppe an, die den Dashing White
Sergeant
oder den Canadian Barn Dance tanzt – die beste Methode,
um sich das Rauchen abzugewöhnen! Aber wie lange noch wird der Schotte
dem Texaner widerstehen können?

Denn vor der hiesigen Küste stieß man 1969 im Meer auf bedeutende
Erdölvorkommen. Seitdem strömen ohne Unterlaß amerikanische
und europäische Manager, Techniker und Arbeiter herbei: freie Unterkünfte
werden seltener, die Fänge der Fischer fallen spärlicher aus; die
Jungen tauschen ihre Bauernhöfe gegen die Plattformen der Bohrinseln
ein; und gewisse Straßenzeilen im prüden Aberdeen nehmen sich ein
wenig aus wie ein Bangkok der Nordsee.