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Grün Orange

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Grüne, Orange und Farbige

Die schreckliche Hungersnot von 1846 kostete eine Million Iren das Leben
und vertrieb eine weitere Million ins Ausland. Die meisten suchten daraufhin
ihr Glück in den USA, aber die ärmeren unter ihnen scheiterten in
den beiden Häfen, die ihrer verfluchten Insel am nächsten lagen,
nämlich in Liverpool und vor allem in Glasgow. Sie gehörten der
gleichen Kulturgemeinschaft an wie die Schotten und sprachen wie die Lowlander
Englisch oder wie die Highlander Gälisch. Aber diese eingewanderten Arbeiter
trugen zwei entscheidende Makel: einerseits waren sie in der Mehrheit Katholiken
(die Schotten verabscheuten aber nun einmal die »römische Dirne«, nachdem
sie dreihundert Jahre lang antipapistischen Predigten unterworfen waren);
andererseits bildeten sie, wenn sie ausgehungert und mittellos in Glasgow
ankamen, eine leichte Beute für Arbeitgeber auf der Suche nach billigen
Arbeitskräften, den blacklegs (»Schwarzbeine«) genannten Streikbrechern.

Daraus folgte ein dauerhafte Mißtrauen der schottischen Arbeiterklasse
gegenüber den Söhnen Erins, das letztere zwang, sich im Schutze
ihrer Kirche, ihrer Schule und ihrer Vereinigungen zusammenzuschließen,
wie beispielsweise der Celtic Football Club, dessen Einnahmen dazu dienten,
einen Hilfsfonds für die Einwanderer zu finanzieren. Die Söhne der
Streikbrecher trugen vergeblich zum Aufbau einer mächtigen Arbeiterbewegung
bei, die Krise und die Arbeitslosigkeit zwischen den beiden Weltkriegen belebten
die alten Antagonismen aufs neue, verschärft außerdem durch den
Bürgerkrieg in Irland. Die Spieler und Anhänger von Celtic wurden
als schmutzige fenians beschimpft, die von den Rangers als Orangistenschweine.

Rivalisierende Scharen junger Arbeitsloser, die sich zum einen oder zum anderen
Lager bekannten, metzelten sich gegenseitig mit Rasiermessern in den Straßen
von Gorbals, Govan, Bridgeton und andern Stadtvierteln nieder, in denen Dreiviertel
der Bevölkerung arbeitslos waren. Mehrere protestantische Freunde vertrauten
mir an, dass sie als Kinder in den dreißiger Jahren fröhlich
sangen »On the 12th of July the papes will die« (»am zwölften
Juli« – der Tag, an dem die Orangisten mit provozierenden Paraden den Sieg
Wilhelms von Oranien über die aufständischen Iren feiern – »werden
die Papisten sterben«) und die kleineren Kinder mit Schlägen terrorisierten,
damit sie preisgaben, ob sie »a Billy or a Dan or an old tin can« waren
(»Gottlose oder Katholen, oder eine alte Blechbüchse«).

Aus dieser Zeit rührt eine ganze Anzahl von Bestsellern her – Romane,
Theaterstücke sowie sogar ein Ballett – die als Rahmen die unteren Schichten
von Chicago-am-Clyde haben, ferner eine Reihe ultranationalistischer Pamphlete,
in denen die bevorstehende Überschwemmung Westschottlands durch eine
Flut katholischer Iren mit kometenhaft ansteigender Geburtenrate vorhergesagt
wird, der sogenannten grünen Gefahr.

In Wirklichkeit stagniert der Anteil der Katholiken in Schottland seit 1930
um die 15% herum (25% am unteren Clyde), wobei fast alle aus Irland stammen,
abgesehen von einigen tausend Hebridern, Italienern, Polen und Litauern. Nichts
unterscheidet sie vom Rest der Bevölkerung, außer ihre Namen, ihre
Schule und ihre Fußballvereinzugehörigkeit. Die vom Staat unterhaltenen
katholischen Schulen, für die meisten kostenlos, besuchen zweihunderttausend
Kinder, ein Fünftel aller Schüler Schottlands. Diese Schulen werden
von der Kirchenobrigkeit unterstützt – 1976 warnte der Erzbischof von
Glasgow seine Schäfchen nachdrücklich vor der Sünde, ihre Sprößlinge
auf eine nicht-katholische Schule zu schicken – und, noch erstaunlicher, von
der Arbeiterpartei, die auf diese Weise die irischen Wählerstimmen einheimst!
Die Kandidaten der Labourparty, der Konservativen sowie der Nationalistischen
Partei erklärten sich 1978 bei der Nachwahl von Garscadden, einem Viertel
mit einem wesentlichen Katholikenanteil, alle drei als entschiedene Abtreibungsgegener!
Was die Namen angeht, so können diese täuschen. »Diese Blödmänner
begehen alle Verbrechen«, hört man bisweilen die Leute herumgiften anläßlich
irgendeines Vergehens, das von einem Herrn begangen wurde, dessen Sprechweise
hibernische () Klänge durchscheinen läßt. Sie werden dagegen
vergeblich protestierend eingewandt haben, dass der fragliche Kennedy
genausogut einer alten schottischen Familie entstammen könnte – man wird
Ihnen erwidern, dass sein Vorname (Pat, Mike oder Dan) ihn unweigerlicher
als Sohn Erins abstemple als dies eine Taufe mit Guinness vermocht hätte.

Die religiösen Zusammenstöße haben an Heftigkeit eingebüßt;
im Gegensatz zu dem, was manche fürchteten bzw. hofften, überschritt
der Nordirlandkonflikt nicht den Nordkanal. Die Arbeitslosigkeit blieb zwar
hoch, erreicht aber nicht mehr die katastrophalen Ausmaße aus der Zeit
zwischen den beiden Weltkriegen. Der fürsorgliche britische Staat läßt
(fast) niemanden mehr in der Armut stecken, und die Elendsbehausungen sind
dabei, aus dem Stadtbild zu verschwinden. Dennoch bleibt Glasgow eine gewalttätige
Stadt. Dabei ist es nicht etwa so, dass man Sie dort am hellichten Tag
angreifen würde, wie in New York, oder dass organisierte Banden
die Hand nach der Stadt ausgestreckt hätten. Gewalt ist dort Sache der
jungen Delinquenten, der Vorstadtkriminellen, der Landstreicher, der Messer-
oder Scherbenträger und weniger der Revolverhelden. Blinde, nihilistische,
selbstmörderische Gewalt, bei der die Verbrechersyndikate und anrüchige
Politiker verzichtet haben, sie für sich auszuschlachten. Das gleiche
gilt auch für die faschistischen Gruppierungen, die in England gerade
eine Blütezeit erleben, insbesondere in den Gegenden mit bedeutender
coloured population, wie in den Midlands und im Südosten. Die
rassistische National Front macht keine Furore in Glasgow. Die große
Arbeitermetropole Schottlands, die voller Widersprüche steckt und den
irischen Vettern gegenüber so wenig liebenswürdig eingestellt ist,
nahm Tausende von Juden, Italienern und Polen gut auf; sie kann sich rühmen,
eine der wenigen britischen Städte zu sein, deren »farbige« Gemeinschaft
(rund zehntausend, die meisten Pakistani, Inder und Bengalen) sich sicher
fühlt. Vorausgesetzt, dass diese neuen Einwanderer es sich nicht
in den Kopf setzen, ihre eigene Fußballmannschaft aufzustellen ...