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Arbeitslosigkeit und Landflucht

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Arbeitslosigkeit und Landflucht

Verkaufen? Aber ja doch, seit einem Parlamentsgesetz von 1976 können
die crofters den croft kaufen, dessen Pächter sie sind,
und ihn weiterverkaufen, an wen sie wollen: ein Glücksfall für die
Immobilienhaie! Schon sind mächtige internationale, vornehmlich niederländische
Gruppen mit im Rennen. Die Gesetzgebung, darauf abzielend, das schottische
Hochland zu modernisieren, quillt über vor guten Absichten.

Im Sinne seiner Gründer sollte das Büro für die Entwicklung
des Hochlands und der Inseln (Highlands and Islands Development Board)
der berühmten Tennessee Valley Authority nacheifern, einer der
größten Erfolge des New Deal unter Roosevelt. Aber in Wirklichkeit
erinnert es eher an das Büro für Indianische Angelegenheiten. Das
paternalistisch geleitete Büro, dessen Chefs fast alle Lowlander sind,
die kein Sterbenswörtchen Gälisch sprechen, zeigt einen deutlich
sichtbaren guten Willen Beistand zu leisten, zu subventionieren, Initiative
zu fördern, zu bürgen, die Werbetrommel zu rühren, Öffentlichkeitsarbeit
zu betreiben und ins Leben zu rufen, kurz, die Highlands von einer bloßen
Eigenbedarfs- zu einer Marktwirtschaft zu führen. In dieser Hinsicht
spricht die Erfolgsliste des Büros seit seiner Gründung durch ein
Parlamentsgesetz aus dem Jahre 1965 Bände. Es verlieh dem Fischfang einen
gewissen Neuaufschwung; finanzierte kühne Wasserkulturprojekte; unterstützte
die Bemühungen des North of Scotland Hydro-Electricity Board –
1943 gegründet, um Schottland mit erstklassigen Wasserkraftwerksanlagen
auszustatten – sowie die der Forestry Commission – 1919 eingerichtet,
um den schottischen Waldgürtel wiederherzustellen. Eine ehrgeizige Aufgabe:
»Ein Baum in Schottland ist ungefähr so selten wie ein Pferd in Venedig«,
notierte der sarkastische Doktor Johnson in seiner Reise zu den Hebriden
1775 (The journal of a tour to the Hebrides, dt bei Diogenes). Der schottische
Wald, im 17. Jahrhundert noch dicht, fiel dem Vandalismus der Reeder, Viehzüchter
und Schwerindustriellen zum Opfer. Heutzutage bestehen nurmehr seltene Fetzen
des ursprünglichen kaledonischen Waldes fort, vornehmlich in den Naturschutzgebieten
Glen More und Beinn Eighe. Die Kaste der Großgrundbesitzer wiedersetzt
sich der Aufforstung der Jagdreviere, und die Forestry Commission fördert
auf übertriebene Weise Nadelholzpflanzungen, kurzfristig gewinnträchtiger
als andere einheimische Baumarten, wie z.B. Eiche oder Birke.

Aviemore, einem viktorianischen Dorf, das im grünen Speytal vor sich
hin vegetierte, verwandelte das Development Board zu einem internationalen
Freizeitkomplex: Hotels, Campingplätze, Hallenbad und Eislaufbahn, Wege
für die Wanderung per pedes oder auf dem Rücken eines Ponys
– entlang einer der Strecken am Loch Garten ermöglicht ein Aussichtsturm,
eine Brutstätte von Seeadlern zu beobachten, große Raubvögel,
die man in Schottland ausgestorben wähnte – und Skipisten an den kahlen
Hängen und engen Flußbetten der Cairngorm Bergkette, von wo aus
sich dem Betrachter ein wundervoller Panoramablick über den Strathspey
und die Monadliath Berge eröffnet.

Trotz des Erfolgs bei diesem Unternehmen mußten die Verantwortlichen
des Boards zugeben, dass der Fremdenverkehr alleine noch keinen
Wohlstand in die Highlands bringen konnte – und das um so mehr, als die Einheimischen
kaum dazu bereit zu sein schienen, sich »balearisieren« zu lassen: als sich
der Gemeinderat von Glencoe vom Board mit dem Plan, einen Zeltplatz
einzurichten, konfrontiert sah, gab er eine zustimmende Antwort – mit der
Auflage jedoch, dass es dort weder Bar noch Tanzlokal geben dürfe.
Also wirklich, diese Gälen sind doch einfach keine fortschrittlich denkenden
Leute! Das Büro vermehrte daraufhin seine Bemühungen zur Industrialisierung,
bestrebt, große britische oder multinationale Firmen in seinen Schlupfwinkel
zu locken. Seine bedeutendsten Erfolge beziehen sich auf die Niederlassung
zweier Riesenfirmen (Aluminium und Papiermasse) in Fort William, auf Werften
für Bohrinselplattformen in mehreren Fjorden über den gesamten Küstenbereich
verteilt, eine Raffinerie in Nigg Bay und ein Atomkraftwerk in Dounreay. All
das geschah nicht ohne gewissen örtlichen Widerstand. Die Dorfbewohner
von Applecross beispielsweise trotzten einer französisch-britischen Gesellschaft
die Zusicherung ab, dass die Bohrinselwerft am Loch Kishorn sonntags
geschlossen sein würde und dass die Materialien ausschließlich
per Schiff befördert würden. Im Januar 1976 enthob jedoch der neue
Regionalrat für die Highlands das Unternehmen von diesen Verpflichtungen
»im Interesse der regionalen und nationalen Wirtschaft«.

Kurz, das gemeinsame Los der Regionen, die zu benachteiligt sind, um sich
ökologische Ansprüche erlauben zu können. Das Ergebnis sind
für alle Zeiten verschandelte Landstriche, manchmal für nichts und
wieder nichts. Mangels Aufträgen erstellte die Werft von Portavadie (Argyll)
nicht eine einzige Plattform seit ihrer Inbetriebnahme. Die amerikanische
Firma, die Plattformen in Dunnett Bay bauen sollte, um, so einer ihrer Führungskräfte,
»das Schicksal der wackeren Leute in der hervorragenden Grafschaft Caithness
zu verbessern«, ließ sich lieber in der Republik Irland nieder, eine
weitere Wahlheimat der Multinationalen, zweifellos, um »das Schicksal der
wackeren Leute ...«

Im Grunde genommen erfordert in diesen Spitzensektoren, welche die Highlands
so entstellen, die Mehrheit der Posten ein hochqualifiziertes Personal von
außen, d.h. aus den Lowlands, aus England, vom europäischen Kontinent
oder aus den USA. Die Stadt Thurso in der Nähe des Kraftwerks von Dounreay
verdreifachte die Zahl ihrer Einwohner, die sich mittlerweile hauptsächlich
aus eingewanderten Führungskräften und Technikern aus dem Süden
zusammensetzen. Die wenigen Highlander, die es schaffen, im dem einen oder
anderen neuen Wirtschaftszweig Fuß zu fassen, der auch höhere Löhne
als Ausgleich für lange Arbeitstage mit einer oftmals gefährlichen
Beschäftigung zahlt, verurteilen durch einen Aderlaß bei den Arbeitskräften
zahlreiche lokale Kleinunternehmen zum Tode, die nicht dazu imstande sind,
ihre Gehälter denen der Multinationalen anzupassen. Aber wie lange noch
werden die mit dem Erdöl zusammenhängenden Beschäftigungen
erhalten bleiben? Am Loch Kishorne ließ die Strafe Gottes nicht auf
sich warten, denn die Werft, in der man den Tag des Herrn verunglimpfte, mußte
1986 schließen. Ein guter Teil des Personals bestand aus Highlandern,
die ihre Arbeitsstelle in Glasgow, Birmingham oder Vancouver aufgegeben hatte,
um wieder in der Heimat zu leben. Auch sie besaßen wohl kaum die Gabe
des zweiten Gesichts!

»Davon soll es nicht abhängen«, tönen die Verfechter der Industrialisierung:
zum ersten Mal in diesem Jahrhundert scheint die Flut der gälischen Auswanderer
zu versiegen. Besser noch, wie der Vorsitzende des Boards in seinem
Geschäftsbericht von 1975 recht optimistisch anführte, »während
die Arbeitslosenzahl in den Highlands 1965 47% über dem britischen Durchschnitt
lag, sind es heute nur noch 39%«. Eine nur kurzlebige Entspannung. Schließung
des Aluminiumwerks in Invergordon im Jahre 1981, Kursverfall beim Rohöl
fünf Jahre später, Niedergang der traditionellen Landwirtschaft
sowie des traditionellen Fischfangs und Handwerks: im Mai 1989 waren elf Prozent
der Highlander arbeitslos, gegenüber sieben Prozent der Briten. Über
das gesamte Jahrzehnt hinweg gesehen, wiesen die Äußeren Hebriden
die stärkste Auswanderungsrate im Vereinigten Königreich auf, weit
vor jener heimgesuchten Region um Liverpool.