Ghetto
Wenig touristisches Viertel zwischen Kapitol, Tiberinsel und Largo Argentina
Sperrbezirk für die römischen Juden im 16. Jhd.
Das hübsche und wenig touristische Viertel zwischen Kapitol, Tiberinsel und Largo Argentina nennen die Römer bis heute das Ghetto. Als Sperrbezirk für die römischen Juden wurde es im 16. Jahrhundert aufgrund des Ediktes 1535 von Papst Paul IV. errichtet. Im Jahre 1555 ließ er hohe Mauern um das sogenannte Hebräerdorf ziehen. An derselben Stelle hatten die Juden bereits in vorchristlicher Zeit gesiedelt. Selbst nach der Einnahme Jerusalems und der Zerstörung des Tempels unter Titus um das Jahr 70 blieben sie vor Verfolgungen einigermaßen verschont. Titus ließ seinen Sieg auf gleichnamigem Bogen verewigen, wo noch heute die Menorah, der siebenarmige Leuchter, das prominenteste Stück der in der Prozession gezeigten Tempelschätze zu sehen ist. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein öffneten sich die fünf Mauertore des Ghettos bei Sonnenaufgang und wurden abends wieder verschlossen. Die Lebensbedingungen im Judenviertel waren fürchterlich. Mangels öffentlicher Brunnen mußten die Bewohner sich aus dem Fluß mit Wasser versorgen. Der Boden war durch regelmäßige Hochwasser versumpft. Im Jahre 1885 wurde ein Teilabriß des Viertels beschlossen, »Sanierung« würde man heute sagen; drei Jahre später begann der Neuaufbau. Statt der vier Synagogen gab es plötzlich nur noch eine am Tiberufer, 1904 eingeweiht. Um die Jahrhundertwende waren die Juden gesellschaftlich wie auch in Deutschland weitgehend integriert. Der italienische Faschismus bekam erst gegen Ende der dreißiger Jahre auf deutschen Druck hin einen antisemitischen Drall. Fünf der Gründer der »Fasci di Combatimento«, 1919, und 230 Teilnehmer des Marsches auf Rom, 1922, waren Juden gewesen. Die Italiener errichteten keine KZs, sondern ließen nur die alten kirchlichen Regeln zur Ausschaltung der Juden aus dem gesellschaftlichen Leben wieder aufleben. Terror und Gewalt zogen im September 1943 unter deutscher Besatzung ein. Kappler ließ zwei Vertreter der Gemeinde kommen und versprach ihnen, von einer Deportation abzusehen, wenn binnen 36 Stunden fünfzig Kilo Gold bereitgestellt würden. Die Übergabe erfolgte in dem noch heute als Gedenkstätte zu besichtigenden SS-Hauptquartier in der Via Tasso. Doch Kappler brach sein Wort: am Morgen des 16. Oktobers um 5 Uhr holten Truppen auf seinen Befehl 2.091 römische Juden aus ihren Häusern und deportierten sie in die KZs. Nur fünfzehn kehrten zurück.
Heute wohnen nur noch wenige Tausend Juden im Ghetto. Das alte Viertel blieb durch die Synagoge, kulturelle Einrichtungen, koschere Restaurants und Geschäfte dennoch ein fester Treffpunkt der jüdischen Gemeinde in Rom. Zu den Sehenswürdigkeiten des Viertels gehören zwei antike Bauwerke aus der Zeit des Augustus: im Herzen des Ghettos stehen die Reste der Säulenhalle Portico d´Ottavia, die Kaiser Augustus 27 v. Chr. seiner Schwester Octavia weihte. Von dem 115 Meter breiten und 135 Meter langen Portikus blieb nur der Eingang übrig, der heute die Vorhalle der im 8. Jahrhundert gebauten Kirche S. Angelo di Pescheria bildet. Vom Portikus aus bietet sich ein schöner Blick auf die Ruinen des nach alten Plänen Cäsars im Jahr 13 v. Chr. erbauten Marcellustheaters. Der Theaterbau diente später als Vorbild für das Kolosseum. Im 16. Jahrhundert ließ die Adelsfamilie Savelli einen neuen Palast in die Ruinen aus römischer Kaiserzeit hineinbauen, der die ursprüngliche Form des Theaters jedoch wahrt.
Auf der nahegelegenen kleinen Piazza Mattei versteckt sich ein elegantes Schmuckstück römischer Brunnenkunst: die Fontana delle Tartarughe (Schildkrötenbrunnen). Nach Zeichnungen von Giacomo della Porta schuf der florentinische Bildhauer Taddeo Landini 1581 die vier anmutigen Jünglinge unter dem Muschelbecken aus afrikanischem Marmor. Zu den bronzenen Schildkröten, und damit zu seinem heutigen Namen, soll der grazile Brunnen erst im 17. Jahrhundert gekommen sein wahrscheinlich dank des genialen Einfalls von Barockmeister Gianlorenzo Bernini.
Am Abend ist die Anziehungskraft des alten Ghettos vor allem gastronomischer Natur. In vielen Restaurants des Viertels werden Gaumenfreuden der hebräisch-römischen Küche serviert wie das berühmte fritto vegetariano (fritiertes Gemüse) oder die carciofi alla giudea (Artischocken auf jüdische Art).