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Restaurierung

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Das Kolosseum sinkt

Vierundzwanzig Milliarden Lire für Rettung der Denkmäler

Armes Rom setzt auf reiche Geldgeber aus der Wirtschaft

»Glücklich die Antiken, die keine Antike hatten!« Der Ausruf des französischen Enzyklopädisten Denis Diderot war im 18. Jahrhundert auf einen philosophischen Streit gemünzt. Heute muß er so manchem römischen Politiker aus der Seele sprechen. Drei Millionen Mark stehen den Denkmalschützern jährlich zur Verfügung. Damit können sie nicht einmal das Wahrzeichen der Stadt vor dem Versinken bewahren – und so sackt das Kolosseum Jahr für Jahr weiter ab. Der Stadtplaner Antonio Cederna war in den sechziger und siebziger Jahren, den Wirtschaftswunder-Zeiten Italiens, wegen seiner Warnungen vor unwiderruflichen Schäden an der antiken Bausubstanz unverantwortlicher Panikmache beschuldigt worden. Bis heute hat Cederna seinen unermüdlichen Einsatz für die Erhaltung des kostbaren Erbes nicht aufgegeben. Er rechnet vor, dass für die Restaurierung der zwanzig wichtigsten antiken Baudenkmäler vierundzwanzig Milliarden Lire ausgegeben worden sind – das entspreche den Baukosten eines einzigen Autobahnkilometers! Auf dem Spiel stehe nun, so Cederna, sogar die in den vergangenen Jahren geleistete Rettungsarbeit. Denn der nach wie vor giftigen Abgasen ausgesetzte Marmor ist nach der Behandlungskur keinesfalls gegen die ätzenden Substanzen gefeit. Bereits in wenigen Jahren werden die in jahrelanger, mühsamer Arbeit gesäuberten Reliefs wieder unter einer schwarzen Schicht verschwinden. Nötig wären regelmäßige Pflege und Konsolidierung des Gesteins, für die aber kein Geld bereitsteht. Und erforderlich wäre die Befreiung der Altertümer vom Würgegriff des Autoverkehrs.

Anfang 1994 hat Roms erster »grüner« Bürgermeister, Francesco Rutelli, ein »Maßnahmenbündel« für die Verkehrsreform angekündigt. Dazu zählt auch die weitgehende Verbannung der Autos rings um das Kolosseum.

Rom ist heute die nervöse Metropole eines modernen Industrielandes – die Automobilisierung der römischen Bevölkerung hat sich beispielsweise zwischen 1960 und 1980 verfünffacht. Zu einer radikalen Verbannung der Autos aus dem Stadtkern konnte sich bislang kein Bürgermeister Roms durchringen. Rom ist – und das macht nicht zuletzt den Reiz der Stadt aus – kein totes Museum, sondern die Bühne für den Alltag von Millionen Römern. Und so muß der Sockel des Mark-Aurel-Standbildes auf dem Kapitolsplatz leer bleiben. Der angeschlagene Kaiser fand nach seiner neunjährigen Restaurierung in einem klimatisierten Museumssaal Zuflucht, denn die römische Luft würde er nicht lange überleben, stellten die Denkmalpfleger nüchtern fest. Nur kann man mit einer ganzen Stadt so nicht verfahren. Roms Altstadt unter einer luftdichten Glasglocke – undenkbar!

Manch einem ist die ganze Aufregung ohnehin unverständlich: gleichgültig und zwanglos sind Generationen von Römern mit den altertümlichen Ruinen umgegangen. Sie wurden ausgeplündert, als Rohmaterial verwandt und durch Neues ersetzt, häufig durch neue künstlerische Meisterleistungen. Durch Verwandlung sei Rom zur Ewigen Stadt geworden – nicht dank ängstlichen Festhaltens an Bestehendem, stellt man achselzuckend fest. Anderen Italienern treibt es die Zornesröte ins Gesicht, dass ihr Land einzigartige Kulturschätze der Menschheit, die zudem jährlich Millionen Reisende ins »Bella Italia« locken, zu Kalkmehl zerstäuben läßt. Das Untergehende scheint ihnen Träger ungleich höherer Werte als die triumphierende Autokultur.

Roms besonderer Charakter macht es allerdings sauberen Lösungen schwer: über zwanzig Jahre zog sich die Fertigstellung einer einzigen Metrostrecke hin, weil die Bauarbeiter alle naselang auf archäologisch bedeutsame Schichten stießen. Jedesmal ruhten die Arbeiten monatelang, und Wissenschaftler begannen, Stein für Stein zu lösen, zu messen, zu fotografieren. Und so quälen sich weiterhin zwei Millionen Autofahrer mit fünf Stundenkilometern durch die Stadt und tauchen sie in grau-bläuliche Abgaswolken.

Auch in vielen Museen zeigt sich Rom nicht gerade von seiner besten Seite. Kurze Öffnungszeiten – nachmittags bleiben die meisten Kunstsammlungen geschlossen – fehlende Beschriftungen der Ausstellungsstücke, Unterbringung in tristen Räumen und eine Anordnung der Objekte, die kaum Sinn macht – dieser lieblose Umgang wird dem unermeßlichen Wert der Kunstschätze Roms kaum gerecht. Zudem verstauben zum Beispiel Tausende kostbarer Objekte des Städtischen Antiquariums seit Jahrzehnten in Kellerräumen und Magazinen, ebenso wie 620 griechische und römische Skulpturen des Museums Torlonia.

Hier mal kurz die Geschichte der Sammlung, ein wahres Bubenstück:

Die Fürsten Torlonia waren Besitzer der größten privaten Antikensammlung der Welt. Ihre Sammlung befand sich in ihrem bereits vorher erwähnten , wurde 1948 unter Denkmalschutz gestellt und war darauf Jahrzehnte kaum mehr zugänglich. In den siebziger Jahren stellte sich heraus, dass die Familie alle Stücke aus den 77 Sälen der Villa in drei Räume verfrachtet hatte, um den Palazzo ohne Baugenehmigung zu sanieren, die Säle also durch eine von ihnen beherrschte Immobilien- und Baufirma in neunzig Appartements zu verwandeln. Das war nicht nur ein Verstoß gegen die Bauvorschriften, sondern auch gegen die Vorschriften zum Schutz von Kulturgütern. Im Jahre 1977 wurden Appartements und Skulpturen beschlagnahmt. Da aber weder Gemeinde noch Ministerium (»zum Schutz der Kulturgüter«) gegen die mächtigen Torlonia Anklage erhoben, noch für die Überführung der Sammlung in ein öffentliches Museum sorgten, wurde die Beschlagnahme 1979 wieder aufgehoben.

Kurzbesucher werden das bei der Fülle bedeutender Kunst verschmerzen – für Kunstinteressierte sind die in Kisten gesperrten Objekte aber ein Skandal und eine unverzeihliche Blöße, die sich die Kunststadt Rom gibt. Der Barockpalast Barberini, Sitz des Museo Nazionale di Arte Antica, ist noch immer zur Hälfte von einem Offizierszirkel des Militärs besetzt. Dreitausend Gemälde bleiben dem Besucher so unzugänglich. Eine Reihe von Sälen der Kapitolinischen Museen steht leer, weil seit Jahren Regenwasser durch die alten Gemäuer dringt. Die Exponate warten verpackt in den Kellergewölben unter dem Kapitol an einen trockenen Platz. Roms Schatzkammer der Antike, das Museo Nazionale Romano, ist seit dreißig Jahren, von zwei kleinen Ausstellungsräumen abgesehen, geschlossen.

Überfordert ist auch der Vatikan mit seinem reichen Kunsterbe. Santa Maria Maggiore, eine Hauptkirche der Christenheit aus dem 5. Jahrhundert, konnte nur durch Gelder von Gläubigen aus der Bundesrepublik und aus Frankreich gerettet werden. Unter anderem beschädigte durch das brüchige Dach eindringendes Regenwasser Mosaike aus der Gründungszeit der Pilgerkirche. Die »Jahrhundertrestaurierung«, wie der Großputz der Sixtinischen Kapelle genannt wurde, fand zum Beispiel in einer japanischen Fernsehgesellschaft ihren Förderer: drei Millionen Dollar ließ das »Nippon Television Network« aus Tokio springen, um die spektakulären Arbeiten an den Deckenfresken Michelangelos zu filmen.

Das arme Rom setzt inzwischen fast überall auf reiche Geldgeber aus der Wirtschaft. Ohne die imagefördernden Finanzspritzen italienischer und ausländischer Großunternehmen stünde es um das Kulturerbe noch schlechter.