Gefängnis

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Wirtschaftliche Probleme

Ständige Kontrolle der Frauen

Schattenseiten der Landschaftlichen Idylle

XX

Gananui war eine hochgewachsene Küstenfrau mit feingeschnittenem, schöngeformtem Gesicht. Sie hatte zwei Kinder, womit sie es bewenden lassen wollte. Shirley und Richard, nach früheren Missionaren benannt, eine weitere Schwangerschaft wollte sie aus wirtschaftlichen Gründen verhindern. „Tupela em inap, zwei sind genug“, meinte sie. Wir schlossen bald engere Freundschaft. Sie erklärte mir, wenn eine Frau ihre Periode habe, so heiße das „mi lukim mun, ich sehe den Mond“. Da Gananui nicht mehr schwanger werden wollte, breitete ich mein damaliges Wissen über die fruchtbaren bzw. unfruchtbaren Tage einer Frau vor ihr aus. Sie sog meine Informationen wie ein Schwamm auf und registrierte sie in einer Schublade – das meinte ich fast bildlich zu erkennen.


Endlich etwas vertrauter erzählte mir Gananui mehr aus dem Leben einer Frau im Dorf. Einmal kam ich bei ihrem Haus an und sah sie auf der Treppe im Bastrock und mit blanker Brust sitzen. Ich schaute sie erstaunt an, denn ich hatte sie bisher immer nur in laplap und T-Shirt gesehen. Erbost beantwortete sie meinen Blick: „Das ist hier wie in einem Gefängnis!“, funkelte sie mich an. „Die Dorfältesten wollen unseren Busen am liebsten ständig, mindestens aber einmal im Monat, sehen. Sie sagen, sie müssen kontrollieren, ob alles im Dorf seinen geordneten Gang geht. Dazu gehört, dass sie wissen müssen, ob eine von uns schwanger ist. Das regt mich schon lange auf!“ Das war also die Kehrseite der Dorfidylle.


Die Frauen berichteten mir von früheren Missionaren und ihren Frauen. Einer war ein man bilong wok, ein Mann der Arbeit, gewesen. Er hatte einen Garten bestellt, genau wie sie, und immer darin gearbeitet. Seine Frau war im Dorf fast nie zu sehen, nicht im Entferntesten wie ich, die täglich mit ihnen zusammensaß. Von einem anderen sprachen sie etwas abwertend; er hatte ständig am Funkgerät gehockt und Kontakt zur Außenwelt gehalten. An ihnen, den Dorfmenschen, schien er wenig interessiert zu sein. Aber er hatte etwas höchst Außergewöhnliches gehabt: eine Uhr, die noch nicht einmal eine Batterie brauchte! Bei unseren Zusammenkünften liefen pausenlos die Radios, Musik und Nachrichten in Tok Pisin sendend, bis hin zum bevorstehenden Besuch eines Missionars in den Lokalnachrichten. Batterien wurden in solchen Mengen verbraucht, dass sie sogar in den kleinen Dorfläden angeboten wurden, die nur Grundbedarf für das tägliche Leben vorrätig hatten. Die besondere Uhr stellte sich heraus als eine Kuckucksuhr, zu deren Besichtigung die Dorfbewohner sogar vor dem Stationshaus Schlange gestanden hatten.

Ein anderer Missionar, so kicherten die Frauen verhalten, war offensichtlich nur an seiner Frau interessiert. Immer, wenn er mit dem Schiff nach Lae fahren wollte, hatte er den Mund seiner Frau gebissen. Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff: so also konnte man Küssen auch deuten.


Und was würde einmal von uns in ihren Augen übrigbleiben? fragte ich mich manchmal. Sicherlich war ich keine Missionarsfrau, die sich im Dorf, bei den Einheimischen, rarmachte. Mein Mann saß nicht pausenlos am Funkgerät und schon gar nicht biss er meinen Mund vor einer Abreise. Jahre später habe ich durch einen Brief von Gananui erfahren, wie ich in den Annalen von Biliau geführt wurde. „Die Dorfleute sagen, Gabi hat den Bauch von Gananui versiegelt“, schrieb meine Freundin mir nach Deutschland. Sie hatte meine Informationen verwertet und tatsächlich keine weiteren Kinder geboren. Von mir war also die Erinnerung an eine „Bauchversieglerin“ geblieben; was von Michael geblieben ist, weiß ich nicht.


Ich beobachtete den Umgang der Frauen untereinander, mit ihren Kindern und auch mit ihren Ehemännern. Die Frauen stillten ihre Kinder in einem Alter von drei bis zu fünf Jahren. Während der Stillzeit wurde ein Kind grundsätzlich nicht bestraft, es galt offensichtlich als nicht strafreif. Ein kleiner Klaps vielleicht manchmal, begleitet von einem „save nau?, weißt du jetzt?“ konnte vorkommen. Ansonsten genossen Kleinkinder die unumschränkte Freiheit, auszuprobieren, Fehler zu begehen, eben Kind zu sein. Abrupt mit dem Ende der Stillzeit setzte eine recht strenge Erziehung mit strikten Regeln ein. Von nun an mussten die Kinder lernen, was die tumbuna, die Ahnen, hinterlassen hatten.


Mitgefühl konnte ich im gegenseitigen Umgang eigentlich nicht erkennen, zumindest kein in Gesten ausgedrücktes. Die Gegebenheiten waren, wie sie eben waren, und wurden unsentimental als solche hingenommen. Bai, einer jungen, hübschen Frau, wurde beim Stillen unter einer Kokospalme sitzend, ihr erstes Kind von einer herunterfallenden Kokosnuss erschlagen. Sie trauerte um ihr Kind, wie es wohl jede Frau getan hätte. Als ich mich neben sie setzte und meine Hand in ihre schob, wollte sie diese fast nicht mehr loslassen. Von Seiten der Dorffrauen habe ich keine Geste dieser Art wahrgenommen.