Vorkommnisse

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Besuch einer Gottesanbeterin

Extreme Naturgewalten treffen aufeinander

Gerüchte über Unabhängigkeit in Niuginis

Das Wasser in den Regentonnen war bereits äußerst knapp geworden, als der erste Regen einer erneuten Regenzeit heranzog. Erstaunt sahen Yagamar und ich uns hinter dem Waschhaus an, als wir am späten Nachmittag das erste entfernte Rauschen hörten. Wir waren gerade dabei, über dem Feuer pitpit zu braten, eine Gemüsesorte, die ich den Dorfleuten besonders gerne abkaufte. Amos und ich liebten den Geschmack dieser Art wilden Zuckerrohrs ganz besonders, wenn es über dem Feuer geröstet wurde, und wir es dann nur mit etwas gesalzener Butter bestrichen. Ich kenne kein deutsches Wort für dieses köstliche Gemüse pitpit, das den Eindruck eines Schilfgraskolben erweckt. Kaum hatte der Regen uns erreicht und prasselte auf das Wellblechdach des Waschhauses ein, so mussten wir uns überlaut miteinander verständigen. Es regnete gleich so heftig, dass die Regenrinnen unseres Hauses es nicht mehr schafften, diese Wassermassen in die Regentonnen zu leiten. In wenigen Minuten war der flache Graben, der das auf Betonpfosten gebaute Haus umgab, von Wasser gefüllt. Prompt riss sich Amos die Kleidung vom Leib und stapfte, Lustschreie von sich gebend, durch das Wasser. Auch Yagamar und ich stürzten nach draußen und begrüßten den Regen mit ausgebreiteten Armen. Als das zum Regen gehörende Gewitter uns erreichte, holten wir, schrille Schreie ausstoßend, unser pitpit vom Feuer und flüchteten ins Haus. In der Küche knabberten wir im Stehen unsere über dem Feuer gerösteten Gemüsekolben und sahen aus der Sicherheit des Hauses dem Spektakel zu. Aus dem einen Gewitter waren zwei geworden, eines im Osten, eines im Westen des Küchenfensters. Blitze und Donner zischten und dröhnten gleichzeitig von zwei Seiten – obwohl ich wusste, dass wir in dem mit Wellblech abgedeckten Haus sicher waren, schauderte ich doch beim Anblick dieser Naturgewalten.

Am Abend klopfte es spät an der Haustüre. Michael und mir war sofort klar, dass es sich bei dem Klopfenden um einen Weißen handeln musste, denn Einheimische hätten sich durch Husten bemerkbar gemacht. Ich öffnete die Tür – und herein trat ein eigenartiges Paar: eine große, knochige Frau, beladen mit einem riesigen Rucksack und ein relativ kleiner, ausgemergelt wirkender Mann, der ebenfalls einen Rucksack trug. Sie stellten sich als Shirley und Steven, bushwalkers, also Buschwanderer, vor, und baten um eine Übernachtung. Ich nahm Shirley den Rucksack ab und wäre fast unter der unerwarteten Last zusammengebrochen. Entschieden meinte sie, sie bäten nur um ein Bett, Lebensmittel hätten sie genug dabei. Aber ich hatte gerade Brot gebacken, von dem ich ihnen anbot, und wir setzten uns mit ihnen an den Esstisch, während sie genüsslich ihre Mahlzeit einnahmen. Sie berichteten, dass sie Niugini zu Fuß bereisten bzw. erwanderten und viele interessante Begegnungen mit Einheimischen gehabt hätten. Bemerkenswert fanden sie vor allem die unter den Einheimischen kursierenden Gerüchte über die nahende independence, die Unabhängigkeit Niuginis. Offensichtlich kursierten die wildesten Vorstellungen darüber, wozu diese Unabhängigkeit führen würde. Davon hatten wir uns hier draußen im Busch überhaupt kein Bild gemacht. Unsere Besucher berichteten, einige Einheimische behaupteten, dann würde der "Cargo" endlich nicht mehr von den Weißen abgefangen, sondern ihnen, den Einheimischen selbst, zukommen. Andere vermuteten Sterben und Morden im Land. Vielerorts waren die Cargokulte wieder aufgeflammt und hatten seltsamste Formen angenommen.


Cargokult, Güterkult, war in Niugini seit Jahren, schon seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, ein Begriff. (xxx Anmerkung: Eine neuere Darstellung des Cargokults findet Erwähnung in Christopher Hitchens "Der Herr ist kein Hirte", Blessing-Verlag, 2008). Cargo bedeutet im Englischen nichts anderes als Fracht, Last, Waren. Ursprünglich entstanden aus der Sehnsucht der Einheimischen, an den Lieferungen, die die Weißen erhielten, teilhaben zu können, hatte dieser Kult sonderbare Bewegungen nach sich gezogen. Man erzählte von Flugzeugs- und Schiffswracks, die von den Einheimischen geschmückt und kultisch verehrt wurden. Auch von Gruppen, die unter der Anleitung selbsternannter Führer Geldmünzen mit Menstruationsblut gemischt, vergraben hatten, in der Hoffnung, es werde sich dadurch vermehren. Immer wieder hatten sich im Land Menschen zusammengefunden, denen ihre Führer glaubhaft gemacht hatten, sie könnten ihnen neue Wege aufzeigen, die sie direkt zu dem begehrten Cargo führten. Denn für sie, die Bewohner dieses Landes war er ja gedacht, die Weißen fingen ihn doch offensichtlich nur ab! Unsere Besucher erzählten, und wir redeten uns die Köpfe heiß. Waren die Cargokulte vielleicht ein verzweifelter Versuch der Urbevölkerung, mit ihren Mitteln die materielle Überlegenheit der anderen, weißen Kultur zu überwinden? „Man kann es den Einheimischen gar nicht verdenken“, sagte ich zu unseren Gästen. „Selbst hier auf unserer Außenstation kann ich nachvollziehen, wie unverständlich unser Umgehen mit Cargo für sie sein muss“. Ein erstaunter Blick des ungleichen Paares traf mich – eine Missionarsfrau, die ihre Überlegungen über ein Thema zum Besten gab, das sie beide wohl längst zu Lasten der Missionare abgehakt hatten. „Schon, wenn ein Flugzeug mit Cargo für unseren store ankommt, stelle ich mir vor, was da in den Köpfen der Einheimischen vor sich gehen muss“, versuchte ich zu erklären. „Was wissen sie schon von bargeldlosem Verkehr? Sie sehen, wie Michael ein Papier unterschreibt, aber Geld an den Piloten bezahlt er nicht, jedenfalls nicht vor ihren Augen. Dann bezahle ich sie für den Transport des Cargo vom Flugplatz zur Station in Naturalien. Aber schließlich müssen sie die Waren, die sie im store kaufen, wiederum bezahlen!“ Steven schaute mich fragend an. „Ihr Missionare bezahlt also die Dorfleute für das Tragen von Waren, die sie hinterher von euch kaufen“? „Nicht nur das“, fügte ich an, „Michael kauft ihnen auch Kaffee und Kopra ab, kann aber natürlich nur den üblichen Marktpreis zahlen. Dann lässt er beides ausfliegen, wobei die Leute vermutlich dennoch das Gefühl haben, für ihre Arbeit ungenügend entlohnt worden zu sein!“ Wir tauschten behutsame Blicke gegenseitigen Verstehens aus, und ich glaubte zu erkennen, wie die beiden ihre bisherigen Erkenntnisse hinterfragten – waren die Missionen doch nicht die Ausbeuter der Einheimischen, wie sie vermutet hatten?