Einblicke

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Seltsame Gestalten in Billiau

Schweißtreibende Arbeit

Vertraute Klänge aus dem Heimatdorf

Als ich am nächsten Morgen bei Gananuis Haus angelangte, aß sie gerade mit Shirley und Richard Taros vom vorabendlichen Essen, dazu gab es süßen schwarzen Tee. Ihr Mann war schon lange vor der Dämmerung zusammen mit anderen Männern des Dorfes zum Fischfang aufgebrochen. Wir frühstückten noch zusammen, als ihre Mutter auftauchte und uns in den Garten scheuchte. Sie würde die Kinder übernehmen, wir sollten uns endlich an die Arbeit begeben. Beim Anblick dieser Frau war deutlich erkennbar, woher Gananuis Schönheit stammte. Sie war ebenfalls schlank und hochgewachsen, hatte das gleiche zart geschnittene Gesicht – ein paar Falten darin, die Haare angegraut, die Brüste herabhängende Beutel, aber sie war noch immer eine ausgesprochen gutaussehende Frau. Gananui nahm zwei leere Wasserflaschen mit sowie zwei leere Kanister, dann zogen wir beide los. Wir verließen das Dorf, schlenderten ein Stück am Strand entlang und erreichten nicht lange danach den Urwald. Es war für mich das erste Mal, dass ich in diese exotische Welt der Schatten eintauchte. Unvermittelt fühlte ich mich wie eingehüllt von nie zuvor gehörten Geräuschen, von Gerüchen und Farben – meine Sinne streckten ihre Fühler aus. Gananui lauschte dem Ruf eines Vogels und erklärte mir, zu welcher Art er gehörte. Wir gelangten zu einer Quelle, wo die Dorfleute ihr Wasser schöpften und wo auch sie die mitgebrachten Wasserflaschen füllte. Tief im Schatten des Dschungels lag diese Quelle, ihr Plätschern schien mir von Geheimnissen umgeben, fast meinte ich, Kobolde darumherum geistern zu sehen. Der Schatten wurde bald von Sonnenstrahlen durchbrochen. Später ließen wir ihn ganz hinter uns und erreichten eine Lichtung, deren helles, gleißendes Sonnenlicht meine Augen blendete. Wir wanderten weiter, an eingezäunten Gärten vorbei, bis wir Gananuis Garten erreicht hatten. „Müsst ihr eure Gärten nur vor den Schweinen schützen, nicht vor irgendwelchen Nachbarn?“, fragte ich, als Gananui einfach bei ihrem Garten ein Holztor beiseite schob. Ein höchsterstaunter Blick traf mich. „Warum sollten wir unsere Gärten vor anderen schützen?“, fragte sie mich, „es hat doch jeder seinen eigenen Garten. Wenn einmal ein schlechtes Erntejahr ist, teilen wir sowieso unsere Ernte miteinander.“

Dann legte sie los. Steine flogen auf einen Haufen, Unkraut flog auf andere Haufen, sie hackte und lockerte die Erde, Schweiß lief aus ihrem Kraushaar ins Gesicht, in die Augen, wurde ungeduldig weggewischt, Wasser wurde in kleinen Schlucken getrunken – bis zum Mittag arbeitete sie, ohne eine Pause einzulegen, und ich tat mein Bestes, mit ihr Schritt zu halten. Sie hackte von einer Bananenpalme eine Staude Goldbananen ab, eine winzige, überaus wohlschmeckende Bananensorte. Wir setzten uns in ihrem Gartenhaus in den Schatten zur Mittagspause. Lange dauerte sie nicht. Schon war Gananui dabei, trockenes Reisig zu sammeln, häufte die Unkrauthaufen darauf, und zündete alles an. Das würde der Erde gutpela gris, gutes Fett, geben, meinte sie. Zum Abschluss erntete sie Taros, Yams, Süßkartoffeln und verschiedene Blattgemüse und sammelte noch etwas dürres Feuerholz unter den Bäumen ein. Sie füllte ihren Netzsack mit den zerkleinerten Holzzweigen und schichtete die geernteten Gartenfrüchte darauf. Danach faltete sie ein Handtuch, legte es auf ihren Vorderkopf, hängte den Netzsack mit dem Tragegurt darauf, balancierte das Gewicht der Last auf ihrem Rücken aus, und wir machten uns auf den Rückweg ins Dorf. An der Quelle befüllte Gananui ihre Wasserkanister, und bald umfing uns wieder die geschäftige Atmosphäre des Dorfes. Shirley und Richard stürzten auf ihre Mutter zu, sie nahm sie in die Arme, und wir beiden klatschnassgeschwitzten Frauen wanderten erst einmal zum Baden ans Meer.


Schon beim Zurückkommen hörte ich das vertraute Geräusch der kokosraspelnden Frauen. Das war der Zeitpunkt, zu dem ich gewöhnlich in das Dorf kam: die Frauen waren zurück von ihren Gärten und begannen, das Abendessen zu richten. Gananui bereitete ihr Gemüse zu, schälte Taro, Yams und Süßkartoffeln in kleinen, mit dem Messer von sich abgewandten Bewegungen. Sie holte bereitliegende, reife Kokosnüsse, halbierte sie mit einem Buschmesser, „maski long susu bilong ol, egal, was aus ihrer Milch wird“, und setzte sich auf ihren Hocker zum Kokosraspeln. In jedem Haushalt der Einheimischen gab es einen solchen Hocker: ganz einfach aus Holz zusammengefügt, konnten die Frauen darauf sitzen und an dem vorne angebrachten, gezackten Metallkratzer, ihre Kokosnüsse zu Flocken raspeln. Diese wurden dann mit – nach Möglichkeit heißem – Wasser übergossen, das Fett wurde ausgedrückt, der Vorgang wiederholt, und so wurde einem häufig fleischlosen Essen doch ein Nährwert zugeführt, was auch noch wohlschmeckend war. Während das Essen auf der Feuerstelle köchelte, holte sie aus dem Haus ihre getrockneten Agavenfasern, um weiter an ihrem begonnenen bilum, dem Netzsack, zu arbeiten. Nach dem Abendessen wanderte ich nachdenklich im Schein meiner Taschenlampe den Hügel hinauf nach Hause. Das Erlebte passierte noch einmal in Bildern meinen Kopf. Ich nahm noch einmal den Geruch der feuchten, moschusartigen Luft des Urwalds und den würzigen Geruch der Gartenerde auf. Gananui wühlte in dieser Erde und saß später, Sisalfasern aneinanderreihend, vor ihrem Haus. An diesem Abend hatte ich zu Hause viel zu berichten.