Anreise
Turbulenter Flug von Adelaide nach Lae
Heimweh? Ich doch nicht
Einleben im papuanischen Missionarshaus
Voller Erwartung standen wir drei ausreisegierigen Familien in der Warteschlange zum Einchecken am Flughafen Frankfurt. Ereignisreiche Wochen lagen hinter uns. Wir hatten uns gemeinsam auf die Ausreise vorbereitet und waren einander dabei nähergekommen. Wir Frauen hatten vor allem zurückgekehrte Missionarsfrauen mit unzähligen Fragen gelöchert und nun hielt ich mich für bestens vorbereitet. Ich glaubte, genau zu wissen, was auf mich zukam.
Am schwierigsten waren für mich die Abschiede gewesen, immer wieder ein neuer Abschied. Das Wissen, Freunde, meine Eltern und Verwandte für sechs Jahre nicht sehen und sprechen zu können, war etwas, womit ich schwer umgehen konnte. Es war das erste Mal, dass ich bewusst Abschied nahm.
Ich kann nicht viel von dem Flug erinnern. Ich weiß noch, dass wir mit KLM flogen, einer niederländischen Fluggesellschaft, und wie völlig unängstlich ich noch gegenüber dem Fliegen war. Bei den Zwischenlandungen in Karachi und Bangkok bekamen wir eine erste Ahnung von dem Klima, das uns erwartete. Amos verhielt sich wie immer mustergültig. Von der Stewardess wurde ein Korb in der Größe eines Kinderwagens oberhalb meines Sitzplatzes eingehängt. Dort konnte er schlafen, nur bei Start und Landung musste ich ihn auf dem Schoß halten. Nicht ahnend, dass er in dem Korb dem Strom der Luftdüsen voll ausgesetzt sein würde, legte ich ihn beruhigt schlafen. Am Morgen waren seine Augen von getrocknetem Schleim zugeklebt und Michael rannte zur Stewardess, um nach einem mit warmem Wasser getränkten Tuch zu fragen. Während ich versuchte, Amos seine armen Augen aufzuweichen, sagte ein einige Reihen vor uns sitzender Chinese zu mir: You have a golden baby. Ja, dachte ich erbost, vor dem wenigstens hattest du Ruhe letzte Nacht. Nervige Kinder mitreisender Passagiere hatten uns, neben etlichen Flugturbulenzen, eine unruhige Nacht beschert.
Auch an die Ankunft in Adelaide habe ich nur schwache Erinnerungen. Wir drei Familien wurden von einem Fahrer des dortigen Missionswerkes abgeholt und zu Häusern in verschiedenen Stadtteilen gebracht. Diese Häuser waren vollständig möbliert, da ihre Eigentümer gerade als Missionare in Neuguinea lebten. Nach dem siebenundzwanzigstündigen Flug waren wir bis auf die Kinder natürlich alle etwas übernächtigt und entsprechend still.
Ich war ständig am Grübeln, was ich nur tun sollte. Ich hatte unter der Matratze von Amos Kinderwagen eine Plastiktüte mit seinem Milchpulver versteckt gehabt. Er sollte wenigstens die ersten Tage in einem fremden Land sein gewohntes Fläschchen bekommen. Aber der Zoll in Australien hatte wohl mein Versteck entdeckt und nun war nicht nur das Milchpulver weg, sondern es fehlte auch noch der Koffer mit den Windeln. Erst zwei Tage später konnten wir ihn am Flughafen abholen.
Als letzte wurden wir an unserem Haus im Stadtteil Myrtle Banks abgesetzt. Viel Zeit konnten wir uns nicht nehmen, um das Haus in Augenschein zu nehmen. Gerade noch zwei Fläschchen würde ich aus dem im Handgepäck mitgebrachten Milchpulver bereiten können.
In Adelaide war Winter und wir, die aus dem deutschen Sommer kamen, wussten nicht so recht, wie wir uns kleiden sollten. Egal, wir setzten Amos in einen Sportkinderwagen, den Michael glücklicherweise im Haus gefunden hatte, und machten uns auf den Weg. Einen Supermarkt, eine Drogerie oder ähnliches wollten wir in dem Vorort von Adelaide auftun. Nicht nur der Koffer mit den Windeln und das Milchpulver, auch das Fahrgestell von Amos Kinderwagen war verschwunden!
Endlich, nach einigen Straßenblocks, wurden wir fündig. Ein Drugstore war gar nicht so weit weg von unserem Haus in Myrtle Banks. Wir traten ein und wurden nach unseren Wünschen gefragt. Plötzlich war in mir alles an Englischkenntnissen weggesackt. Der lange Flug, das Übernächtigtsein ich war unfähig, zu artikulieren, was ich wollte. Das englische Wort für Windel, wie war das noch? Holprig erzählte ich der Verkäuferin von etwas, wo Babys reinmachen und Milchpulver. Ihr schräger Blick zeigte mir, dass sie uns wohl aufgrund unserer dunklen Haare für italienische Einwanderer hielt. Irgendwann klappte es doch mit der Verständigung, so dass wir uns beglückt auf den Rückweg machten. Das Überleben des halbjährigen Amos war gesichert.
Am Nachmittag dieses wie im Traum durchlebten Tages stellte sich ein Ehepaar als Mr. and Mrs. Daecke vor, das unsere Familie im Auftrag des australischen Missionswerks betreuen sollte.
Viel erinnere ich nicht mehr von dieser Zeit in Adelaide, die ich eher über-lebte als er-lebte. Mein ganzes Sein war ausgerichtet auf Papua Neuguinea, das Land, in dem ich leben wollte.
Gleich am ersten Morgen fand ich vor der Haustüre zwei Flaschen Milch, die unser Betreuerpaar als tägliche Lieferung in Auftrag gegeben hatte, wie sich herausstellte, ebenso wie einen Beutel mit frischen Brötchen, der an der Haustüre hing. Dass die leeren Flaschen wieder vor der Haustüre abzustellen seien, hatte ich nicht bedacht. Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh von Geräuschen, die offensichtlich von der Vordertüre herrührten, auf. Dazu nahm ich auch noch den flackernden Schein einer Taschenlampe wahr und war alarmiert. Einbrecher, dachte ich, kaum zwei Tage in diesem fremden Land, und jetzt Einbrecher! Instinktiv huschte ich barfüßig in Amos Zimmer nebenan, packte mein schlafendes Kind mit seiner Decke und eilte zurück ins Schlafzimmer. Zitternd stand ich hinter der verschlossenen Tür, mein kostbarstes Gut an mich drückend. Sollten sie ruhig stehlen, was sie wollten ich hatte mein Kind im Arm, das war die Hauptsache. Später stellte sich heraus, dass der Milchmann mit seiner Taschenlampe vergeblich nach den leeren Milchflaschen gesucht hatte.
Die highlights in diesen Monaten in Adelaide waren, wie auch später, die Briefe meiner Mutter. Jahre danach würden meine Kinder bei meiner Rückkehr von der Arbeit aus dem Haus stürmen und rufen: Komm schnell rein, die Oma hat wieder einen Roman geschrieben! Heimweh nach Deutschland? Niemals hätte ich das eingestanden.