Initiation

Body: 

Plötzliches Verschwinden der Kinder

Verzweiflung macht sich breit

Große Vorfreude (auf was?)

XXX

Wieder einmal machte ich mich auf den Weg zum Dorf. In der Nacht hatte es ein wenig geregnet, und die Luft über dem frisch duftenden Kunaigras flirrte. Die hochstehende Sonne saugte sich satt an der Luftfeuchtigkeit, so dass meine Haut bereits nach wenigen Schritten von einem Schweißfilm überzogen war. Als ich mit Amos im Dorf angelangte, spürte ich eine Veränderung. Zunächst konnte ich sie nicht einordnen, aber sie war da, irgendetwas empfand ich als ungewohnt. Wir saßen, wie so oft, zusammen, die Dorffrauen erledigten eine Arbeit nebenbei, unsere Kinder spielten in unserem Blickbereich, wir unterhielten uns – aber etwas war anders. Es kam wie eine Eingebung zu mir. „Wo sind die jungen Männer?“ fragte ich die Frauen. Etwas wie Ungeduld, Missmut lag urplötzlich in der Luft. Eine der Frauen deutete in Richtung Urwald, der jenseits des Dorfes begann. „Long hap, dort drüben“, meinte sie. Eine Art Reserviertheit ging auf einmal von den Frauen aus. Hatte ich eine falsche Frage gestellt? Eine andere Frau fügte in leicht aggressivem Ton hinzu: „Wir sagen über Dich, dass Du eine Frau bist, die eine von uns sein könnte – aber Du bist eben auch eine Missionarsfrau. Wir sind Christen geworden, aber unsere Ahnen sprechen mit uns, und wir sind froh, wenn wir sie hören. Wir möchten das, was die Ahnen uns zu sagen haben, an unsere Kinder weitergeben. Deshalb pflegen wir neben den christlichen Riten auch noch unsere alten, von den Ahnen überlieferten Kulte.“


Meine Gedanken galoppierten! Jetzt nur ja keinen Fehler begehen! „Seit wir hier sind, seid ihr meiner Familie immer mit Freundlichkeit begegnet“, antwortete ich, sorgfältig meine Worte abwägend. „Ich mag euch und spüre, dass ihr mich mögt. Weil ich euch mag, möchte ich verstehen, wie ihr denkt und fühlt. Mein Mann und ich haben keine Vorbehalte gegenüber euren überlieferten Kulten, im Gegenteil, wir möchten sie gerne kennenlernen“. Noch während ich redete, spürte ich, wie die Frauen entspannter wurden und damit die Stimmung zwischen uns.


Erst als ich mit Gananui später wie so oft am Strand zusammen saß, wurde meine Neugierde gestillt. Die Jugendlichen, im Alter von ungefähr sechzehn Jahren, pflegten, zusammen mit ol big man, den Dorfältesten, in den Busch zu gehen, wenn etliche Jungen das Alter für die Initiation erreicht hatten. Den Zeitpunkt dafür bestimmten die Dorfältesten. Den Frauen sagte niemand Bescheid, übergangslos waren die Jungen weg, und den Frauen war die Bedeutung dafür klar. Im Busch wurden die Jungen in der Tradition der Ahnen unterrichtet. Was genau gelehrt wurde, wusste keine der Frauen, eben save bilong tumbuna, das Wissen der Ahnen. Die Jungen mussten fasten, durften täglich nur bestimmtes Gemüse, wie eine Kochbanane, zu sich nehmen, das diente der Reinigung. Welche Riten sie durchliefen, durften die Frauen nicht wissen. Dass am Ende der vierwöchigen Zeit der Vorbereitung ein Beschneidungs-Ritual stattfand, wussten sie dagegen. Die Dorfältesten waren sogar dazu übergegangen, sich dafür von der Krankenstation eine Desinfektionslösung zu besorgen.


Beim so vertrauten Zusammensitzen empfand ich wieder einmal, wie wundervoll es doch war, eine Freundin zu haben, die sich für mich so weit öffnete. Gananui saß neben mir, wobei ich spürte, dass sie sich hatte überwinden müssen, mir all das zu offenbaren. Ihr Geruch hatte sich verändert, wie mir mit einem Mal auffiel. Schon früher hatte ich bemerkt, dass Schweißgeruch von schwarzen und weißen Menschen sich unterschied. Hatte „unser“ Schweißgeruch etwas Säuerliches, so hatte der von Schwarzen eine Art metallischen Beigeschmack. Aber, was mir hier auffiel, das war Angst, ich roch Angst! „Hattest du vorhin Angst“? fragte ich Gananui behutsam. Sie legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel und sagte: „Ooo Gabi ooo, ich hatte mächtig Angst, dass sie von mir verlangen würden, nicht mehr mit dir befreundet zu sein!“

Die jungen Männer waren weg, und die Dorffrauen ergingen sich in eifrigen Vorbereitungen. Die Regenzeit hatte eingesetzt, und das Strandleben war zu einer Abwehr von Sandflöhen geworden. Schon der Weg hinunter durch das Kunaigras zum Dorf oder zum Strand hatte sich zu einer schweißtreibenden Unternehmung entwickelt. Manches Mal saß ich nach einer Dusche im Sessel und begann, mich schon wieder nach der nächsten zu sehnen. Amos entwickelte einen Ausschlag gegen die hohe Luftfeuchtigkeit, der nur mit einer bestimmten Lotion zu behandeln war. An einem Morgen kam unser Hausmädchen Wasai mit einer Nachricht von Gananui: „Morgen ist der große Tag. Ihr seid eingeladen, beim Initiationsfest dabei zu sein“!


Wir hatten uns „ganz in Weiߓ gekleidet und wanderten den Hügel hinunter ins Dorf. Dort herrschte Festtagsstimmung. Alle Frauen waren mit Essensvorbereitungen beschäftigt; sie trugen Baströcke und zeigten bloße Brüste. Die Schweine waren bereits geschlachtet und lagen zerteilt auf Bananenblättern bereit. Auf den Innereien saßen Berge von Fliegen, die von daneben sitzenden Kindern mit Palmwedeln träge ein wenig verscheucht wurden. Es war mehr Funktion als Absicht. Auf dem Dorfplatz waren Schilfmatten ausgebreitet. Hier ließen wir uns nieder und warteten mit den Dorfleuten auf das große Ereignis. Im Warten waren die Niuginis ganz groß, das wusste ich von früheren Ereignissen.


Aus der Ferne war das Geräusch von Gesängen und Trommeln zu vernehmen. Es kam näher, und eine Gruppe von geschmückten, tanzenden Menschen tauchte auf. Das war eine Singsing-Gruppe, wurde mir erklärt. Sie hatte die Aufgabe, die Ankommenden mit ihren Gesängen in das Dorf zu „ziehen“. Die Ankommenden, das waren die jungen Männer, die eine nicht näher zu beschreibende Zeit hinter sich gebracht hatten. In dieser Zeit waren sie in den überlieferten Traditionen ihrer Ahnen unterwiesen worden, von denen noch nicht einmal die Dorffrauen Genaues wissen durften. Die Singsing-Gruppe war nun deutlicher zu sehen und auch das, was sie da ins Dorf „zog“: eine Reihe sichtlich abgemagerter junger Männer mit hervorgetretenen Rippen, gekleidet in rote laplaps, die eine geflochtene Basttasche in der Hand hielten. Dahinter folgten die jungen Mädchen des Dorfes, aufgereiht nach der Größe ihrer Brüste. Die Singsing-Gruppe bewegte sich mit den nachfolgenden Gruppen durch das Dorf und drehte eine Ehrenrunde. Danach nahmen die jungen Männer Aufstellung auf dem Dorfplatz, die Mädchen entfernten sich und eilten zu den Essensvorbereitungen – sie waren nur schmückendes Beiwerk gewesen.