Regenzeit

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Einschläfernde Klänge

Beginn der Regenzeit in Begesin

Schutzmaßnahmen vor krabbelnden Gästen

Während der Nacht hatte es unaufhörlich in Strömen geregnet. Am Abend war der Regen über den Urwald wie eine Wand herangerauscht. Erst waren die Vögel verstummt, die Natur war still geworden, wie tot, dann war nur ein leichtes Raunen zu vernehmen, ein Geräusch, wie im Windhauch aneinanderreibender Blätter. Je mehr sich der Regen näherte, desto mehr steigerte sich dieses Geräusch, immer unüberhörbarer werdend, bis es wie ein Wasserfall klang. Als der Regen das Haus erreicht hatte, trommelte er gleichförmig, laut und eintönig auf das Wellblechdach ein. Im Bett wirkte dieses gleichmäßige Prasseln irgendwann einschläfernd.


Ich erwachte, wie eigentlich immer, vom Geschrei der Vögel. Die Einheimischen nannten sie garamut bilong tudak, Baumtrommeln der Dämmerung. Egal, ob Trockenzeit oder Regenzeit: kurz vor oder nach sechs Uhr ließen diese Vögel keinen Zweifel daran, dass die Nacht vorüber war.


Jetzt ist sie da, die Regenzeit, dachte ich frohlockend beim Aufstehen. Sicher hatte schon diese eine Nacht genügt, die klaffenden Risse im Rasen um das Haus ein wenig zu schließen. Nur wenige Tage würden genügen, alles, was ringsum braun und verdorrt war, wieder ergrünen zu lassen.


Ich ging in die Küche, um die Spritzen zum Auskochen aufzustellen. Vom Gang aus hörte ich meinen Sohn Amos in seinem Zimmer vor sich hinbrabbeln und singen. Stolz stellte ich den Topf mit den Spritzen auf meine neueste Errungenschaft: einen Gaskocher mit zwei Feuerstellen. Vorbei die Plackerei, als ich noch umständlich ein Feuer im Herd anzünden musste, um langsam das Wasser zu erhitzen. Welch eine Erleichterung gegenüber vorher!


Während die Spritzen vor sich hinköchelten, holte ich mir aus dem Kerosin betriebenen Kühlschrank und dem Fliegengitter-Vorratsschrank mein Frühstück. Hätte es diesen Schrank nicht gegeben, so hätte man ihn erfinden müssen. Das Fliegengitter schützte die Lebensmittel vor Kakerlaken. Die Füße des Schranks ruhten zusätzlich in kerosingefüllten Dosen, so dass die Vorräte vor den allgegenwärtigen Ameisen sicher waren. Diese kamen in jeder Gestalt vor: im Haus waren es die ganz kleinen feinen – sie waren praktisch überall, so dass sogar im Wohnzimmer die Getränke jeweils in eine wassergefüllte Untertasse gestellt werden mussten. Draußen gab es eine weitere Vielfalt dieser lästigen Spezies. Da waren die mittelgroßen schwarzen Ameisen sowie die größeren schwarzen – begierig auf alles Vertilgbare. Am schlimmsten waren die kurakum, große rote, die sich vor allem an den Obstbäumen breitmachten und so richtig gemein und schmerzhaft zubeißen konnten.

Am Vortag, dem letzen in der Trockenzeit, wie ich nun wusste, hatte ich Roggenbrot gebacken. Gut war es geworden, nach dem Rezept einer Freundin in meinem handgeschriebenen Kochbuch, „feuchtes Roggenbrot à la Anita“. Wir deutschen Frauen in Papua Neuguinea (P.N.G.) waren ständig dabei, Brotrezepte auszutauschen. Zum Roggenbrot gab es gesalzene Butter und Guavenmarmelade vom Baum vor dem Küchenfenster.


Nachdem die Spritzen zwanzig Minuten gekocht hatten, ging ich ins Badezimmer. Amos war noch bei seinem Morgenritual, einem Vorsichhinträllern im Bett. Irgendwann würde er kommen, um kaikai, Essen zu verlangen. Dann würde er sich auf den Weg machen und die Veränderungen der Welt da draußen erkunden. Erst würde er ins Waschhaus gehen zu den Hausmädchen Yagamar und Sisies, die bereits geschäftig den Kerosinwasserkessel für die Wäsche anheizten. Wasser, wir hatten wieder kostbares Wasser! Und das mit Sicherheit noch für einige Monate.


Hausmädchen und Außenarbeiter waren üblich auf einer Missionsstation wie Begesin. Für das Hausmädchen bedeutete das Angelerntsein in einem Missionshaushalt eine deutliche Steigerung des Brautpreises, der hauptsächlich in Schweinen entrichtet wurde. Für den wokboi, den Außenarbeiter, war draußen im Busch die Anstellung eine gute Möglichkeit, sich eben diesen Brautpreis zu verdienen, um eine Familie gründen zu können. Begesin war eine klassische Außenstation.