Ausreise

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Vorfreude auf die Heimat

Erneute Einreise nach Papua-Niugini

Sehnsucht nach dem kühlen Deutschland

Wir flogen über Hongkong nach Port Moresby, wobei ich bestrebt war, meine Flugangst zu verbergen. Vor allem wollte ich meinen Kindern ihre Unbefangenheit gegenüber dem Fliegen erhalten. Im Land angekommen, fand ein tränenreicher Abschied statt. Insbesondere „unsere“ Kinder wollten es nicht fassen, dass die gemeinsame Zeit ein Ende haben sollte. Für Marina und Gunnar mit ihren Töchtern führte der Weg nach Lae, unserer brachte uns nach Madang. Im Flugzeug flüsterte ich, von Tränen aufgeweicht, zu Michael: „Das Leben scheint nur aus Abschieden zu bestehen, wie viele müssen wir denn noch hinter uns bringen?“


Wenn ich versuche, mich an die Ankunft in Madang zu erinnern, taucht kein einziges Bild in meinem Gedächtnis auf. Ich weiß, dass wir ein paar Tage im Lutheran Guest House verbracht haben, einem von der Kirche betrieben Gästehaus. Ich sehe ein Vierbettzimmer vor mir, das auf eine überdachte Veranda mündet. Wir nehmen triste Mahlzeiten ein, eine unfreundliche Atmosphäre umgibt uns. Das Gästehaus wird von einer Holländerin geleitet, die absolute Freudlosigkeit verbreitet und von Gesprächen mit ihren Gästen nicht viel zu halten scheint. Nicht einmal die Idee einer Ahnung entsteht in mir, dass ich genau dieses Gästehaus einmal leiten würde. Ich erlebe und empfinde das Wenige, was diese trübselige Situation in mir an Gefühlen zulassen kann.


An einem stickig heißen Abend sitze ich auf den Stufen der Veranda, sehe im Licht der Neonlampen Geckos an der Decke entlanghuschen und fühle mich fremd, fremd, fremd. Ich wünsche mir sehnlichst eine Brise herbei, die mir ermöglicht, durchzuatmen. Immer dieser Schweißfilm auf dem Körper – war ich verrückt gewesen, mich freiwillig auf eine erneute Ausreise in dieses heiße Land einzulassen? Wie gerne möchte ich wieder die durch Trinken angesammelte Flüssigkeit natürlich ausscheiden, anstatt sie herauszuschwitzen. Wer brauchte uns hier schon? Meine Kinder schlafen in dem Zimmer neben mir – haben wir sie vielleicht leichtfertig aus ihrer Umgebung gerissen und hierher verschleppt? Ich höre das betäubende Zirpen der Zikaden, rieche den würzigen Duft der feuchten Erde. Ich bin von meinen Empfindungen abgenabelt. Nichts sagt mir, was diese Fremdheit bedeutet, warum sich all diese Fragen in mir auftürmen, es ist, als sitze ich neben mir. Dann kommt der Regen. Lange, bevor die ersten Tropfen auf das Wellblechdach klopfen, vernehme ich aus der Ferne das Rauschen. Die ersehnte Brise fährt kühlend über meinen frisch geduschten Körper, während kurz danach heftige Böen meine Haare durcheinanderwirbeln. Nun prasselt der Regen gleich neben mir nieder, Blitz und Donner sind gleichzeitig zu sehen und zu hören, die Regentropfen auf dem Dach werden zu dröhnendem Trommeln. Mein erster Instinkt will mich in den Schutz des Hauses treiben, aber irgendetwas hält mich draußen – ich muss die Naturgewalt sehen, fühlen, einatmen, ich möchte mich wieder spüren. Es dröhnt in meinem Inneren, wird lauter, in mir entsteht eine Überschrift, die sagt: Das ist es, du bist angekommen. Friede kehrt ein, die bleierne Schwere, die mich nach dem Abschied von unseren Freunden ausgefüllt hat, fällt endlich von mir ab. Etwas schleicht sich ein als vertraut, eine Art Wiedererkennen stellt sich ein. Ich bin wieder eine reale Person, ich fühle mich und die Meinen vom Land Papua Niugini aufgenommen. Wie ein neugeborener Mensch schleiche ich mich leise in das Zimmer, in dem mein Mann und meine Kinder bereits schlafen.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie neugeboren, fühlte überhaupt wieder etwas, und vor allem fühlte ich mich. Madang, wir waren in der Hafenstadt Madang! Beim vorher tristen Frühstück entlockte ich der holländischen Leiterin des Hauses durch meine neu erwachten Lebensgeister gar ein Lächeln. Zwei Jahre später würde ich zu Rucksacktouristen, die mich vorsichtig fragend anschauten, sagen: „I’m not the gruff Dutch lady!, Ich bin nicht die barsche holländische Dame!“ Aber das konnte ich noch nicht wissen.


Wir borgten uns das Gästehausauto, verzichteten auf den freudlosen lunch des Hauses, und erkundeten mit unseren Kindern „unsere“ Stadt Madang. Beim Leuchtturm, dem Wahrzeichen der Stadt, verputzten wir, im Gras auf Decken sitzend, fish and chips, und gingen später im Meer baden. Drei Tage darauf bekamen wir vom Distriktpräsidenten im Kirchenbüro ein vorläufiges Haus zugewiesen, da Michaels Vorgänger noch in Amron wohnte, und wir erst Mitte Januar würden dorthin ziehen können, vor Eintreffen der Erstsemester an der Evangelistenschule.