Verwunderung

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Ameisenwanderung durchs Wohnzimmer

Tabuthemen an der Tagesordnug

Unverständlich: Woher kommen die Kinder?

Jeden Morgen kamen unsere Hausmädchen Langpain und Wasai, begrüßten Amos liebevoll – und der Tag konnte beginnen. Wir besprachen die anfallenden Arbeiten, teilten sie auf und gingen die Alltagsarbeit an. In einem Haushalt in den Tropen waren Sauberkeit und Hygiene weitaus wichtiger als daheim. Nur ein einziger übersehener Krümel konnte eine Straße von Ameisen bewirken. Wäsche war fast täglich zu waschen, denn Kleidung wurde nicht gewechselt, wenn sie schmutzig war, sondern, wenn sie verschwitzt war – und das konnte mehrmals täglich der Fall sein. Hinzu kam, dass ich ein Windelkind hatte und somit jeden Tag ein kleiner Berg von Windeln entstand.


Für die Frauen im Biliaudorf war mein Stationsleben offensichtlich jenseits ihres Interesses. Dorf und Station, das waren zwei getrennte Welten. Ich hätte schon einige Jahre mit ihnen im Dorf leben müssen, um eine der ihren zu werden. Aber ich war nun mal keine Margaret Mead, ich war als Missionarsfrau in dieses Land gekommen. Heute ist mir klar, dass ich nur eine Art Schnupperkurs in der Niuginikultur machen konnte. Somit können auch meine Erkenntnisse aus dem Erlebten lediglich die Schlussfolgerungen einer interessierten Missionarsfrau wiedergeben. Sie erheben keineswegs Anspruch auf ethnologisch sachliche Richtigkeit.


Über die Beziehungen der Paare untereinander kann ich nicht viel berichten. Ich glaube nicht, dass ein zu großer Abstand der Grund dafür ist oder die Tatsache, dass ich nicht im Dorf mit den Menschen gelebt habe. Über dem Thema Paarbeziehung schwebte in meinen Augen ein übergroßes tambu, Tabu, wie eine Dunstglocke. Noch nicht einmal meine Freundin Gananui wagte ich bei vertraulichen Gesprächen nach der Beziehung zu ihrem Mann zu fragen – ebenso wie sie mich nie etwas Diesbezügliches fragte. Etwas wie ein Instinkt warnte mich, dieses Thema zu berühren. Eine ganze Zeit lang hatte ich Schwierigkeiten, den Frauen ihren jeweiligen Mann zuzuordnen, so unemotional und unterkühlt habe ich die Frauen im Umgang mit ihren Ehemännern erlebt. Nie habe ich einen verdeckt vertraulichen Blickaustausch wahrgenommen oder verstohlenes Händchenhalten. Händchenhaltende Männer waren dagegen häufiger zu beobachten. Aber da waren doch all diese Kinder – die mussten doch irgendwie irgendwann entstanden sein?

Die Häuser im Dorf ähnelten einander ungemein. Alle waren auf Holzpfosten errichtet. Die Wände bestanden aus geflochtenen Schilfmatten mit teils wunderschönen Mustern. Kunaigras bedeckte die Dächer, und limbum, eine weiche, federnde Holzart, diente als Fußboden. Der Abstand zwischen den Häusern betrug bis zu zehn Meter. Wie hätte da so etwas wie Privatleben stattfinden sollen? Musste solch eine geflochtene Wand nicht jegliches Geräusch durchlassen? Ich hatte keine Antwort darauf, bis ich einmal Gananui in ihren Garten begleitete. Die Gärten waren ziemlich ausgedehnt, eher Felder, und jeder war zum Schutz vor wilden Schweinen von dicken Holzzäunen umgeben. Gananui zeigte mir, wie Taro, Süßkartoffeln, Yam, und anderes Gemüse angebaut wurden. Sie zeigte mir auch ihr Gartenhaus, das wie eine etwas kleinere Ausgabe ihres Hauses im Dorf aussah, und erklärte mir, dass die Dorfleute häufig im Gartenhaus übernachteten. Da endlich wurde mir bewusst, wie eben doch so etwas wie Privatleben für Paare entstehen konnte.


Ich fragte Gananui, ob ich einmal einen Tag mit ihr von morgens bis abends verbringen könnte. Ich wollte so gerne erleben, wie der Alltag für die Frauen wirklich aussah. „Em inap", das geht, meinte sie, „komm morgen Früh gleich nach Sonnenaufgang, und du wirst wissen, wie wir leben.“ Michael versprach mir, einen ganzen Tag lang Amos zu betreuen, so dass ich mich auf mein Abenteuer einlassen konnte.