Anschaffungen
Alternative zum Fortschritt
Geschäftsleute sind eine Bereicherung
Auseinanderleben der Stammesgemeinschaften
Bei Besuchen in Dörfern stellte ich verblüfft fest, dass Geschäftsleute, Weiße wie Einheimische, die Hochlanddörfer bereicherten mit Dorfkinos. Auf riesigen Leinwänden konnten einheimische Jugendliche Kung Fu-Filme durch von Generatoren betriebene Vorführapparate bestaunen und dabei den Rest ihrer überlieferten Kultur vergessen.
Wir übernachteten im Hochland in bezaubernden Hotels, aber mit Erstaunen nahm ich die Sicherheitszäune wahr, mit denen jedes der Hotels geschützt wurde: hohe metallene Zäune mit dicken Stacheldrahtrollen darauf. Einer der Hoteliers hatte zwischen doppelten Zäunen sogar Rottweiler zum Schutz seiner Gäste eingesetzt, worauf ich ihn ansprach. Er erklärte mir, schon Ende der siebziger Jahre seien sie dazu übergegangen, ihre Gäste derart zu schützen, seither habe sich die Sicherheitslage stetig verschlechtert.
Im Asarotal sahen wir eine Vorführung der Schlamm-Menschen immer wieder musste ich erleben, wie Kultur, die einmal einen Rückbezug hatte, die den Menschen Halt gegeben hatte, gegen Kina verkauft wurde, und ich fühlte mich trauriger und elender mit jedem Tag. Aber, fragte ich mich, was wäre die Alternative gewesen, die Menschen zu schützen vor all dem Fortschritt? Hätte man besser einen Zaun gezogen und gesagt: nun lebt mal schön weiter euer naturverbundenes, abgeschiedenes Leben? Ich habe keine Antwort.
In Goroka hielt uns Ulrich seinen versprochenen Vortrag, und er erzählte dabei eine Geschichte von Aborigenes in Australien, die mich tief berührte. Weiße waren zu einem abgeschieden lebenden Stamm vorgedrungen. Sie hatten, um ihre freundliche Gesinnung zu beweisen, an Träger ihrer Expedition, die sie aus dem Stamm gewannen, jeweils eine Eisenaxt verschenkt. Diese Eisenäxte, verteilt in einem Stamm, der bisher nur Steinäxte gekannt hatte, lösten eine beispiellose Kettenreaktion aus. Die big men des Stammes, die durch lange Tradition eine Führungsrolle im Stamm innehatten, wurden unvermittelt ihrer Macht beraubt. Was vorher selbstverständlich von ihnen bestimmt wurde, fingen die Stammesmitglieder nun an, zu hinterfragen. Das Miteinanderteilen, das für den Stamm eine Überlebensfrage gewesen war, wich dem Neid auf Besitz und der Gier nach solchem. Lüge und Betrug unter Menschen, die sich bisher bedingungslos aufeinander verlassen hatten, hielten Einkehr in den Stamm. Am Ende blieben Eingeborene zurück, die in Reservaten stumpf ihr Dasein fristeten.
Von Goroka rollten wir die Hochlandstraße über Kainantu und den Kassam Pass in das Markhamtal hinunter, passierten die Zuckerplantagen im Ramutal, um endlich, endlich Madang zu erreichen. Im Madang Hotel erwarteten mich Michael und Janna. Wir bekamen von John ein herrliches Dinner serviert, bei dem wir à la carte wählen konnten. Die meisten der Deutschen wählten Hummer, wohl, weil er am teuersten war, ich wollte endlich mal wieder John`s ausgezeichnetes Steaksandwich kosten. Nach dem Dinner nahm ich Abschied von meiner ersten und letzten Reisegruppe. Von einigen Mitgliedern war es ein warmer, herzlicher Abschied, von anderen fiel er mir so leicht, wie Abschiede eigentlich nicht sein können. Ich hatte eine Weltreise mit meiner Gruppe zurückgelegt. Dass ich wieder zu Hause war, dazu benötigte ich einige Zeit, es zu begreifen.
In Amron brauchte ich Abende um Abende, an denen ich versuchte, das Erlebte in Worte zu fassen, um es zu verarbeiten. An den ersten Abenden hörten mir Janna und Michael noch einigermaßen geduldig zu. Als ich sie neben mir heimlich die Augen verdrehen sah, verzog ich mich auf die Veranda und versuchte, dort das Unglaubliche mit mir allein zu klären. Meine Art, zu verarbeiten, war und ist die Sprache. Erst, wenn ich etwas in Worte gefasst habe, kann ich es abschließend beenden.
Da mein Mann und meine Tochter von meiner Verarbeitung nichts mehr wissen wollten, schrieb ich meiner Mutter einen mindestens zehnseitigen Brief. Ich beschrieb die Reise in allen Details und endete mit dem Satz: Und nun sitze ich auf der Veranda und bin dabei, die Wunden meiner Selbstachtung zu lecken. Ich erlebte für mich alles in Bildern noch einmal und noch einmal nach, und mit jedem Bild begann ich zu genesen, wieder mich selbst zu spüren als den lebensoffenen Menschen, in dem ich mich wiedererkannte. In meinem Gästehaus sah ich zunächst die Gäste argwöhnisch auf nörglerische Tendenzen hin an, aber nach und nach wurde ich wieder zu der das Leben anpackenden Person mit Freude am Umgang mit Menschen, die ich vorher gewesen war.