Eindrücke
Erschreckende Veränderungen
Ständig Beschäftigung
Wegbrennen der Blutegel
Langpain, eines unserer Hausmädchen, war ein lebensfrohes, quirlig kicherndes Geschöpf. Gerne besuchte sie ihre Schwester in der Mittagspause, die mit einem Lehrer auf der Station verheiratet war und einen Sohn etwa im Alter von Amos hatte. Oft brachte sie Jerry, den Sohn ihrer Schwester mit zu Amos, so dass wir zusammen dem Spielen der beiden Kleinkinder zuschauten.
Nach einigen Monaten meldete Langpains Vater sie bei mir als Hausmädchen ab. Sie sei schwanger und könne nicht mehr in einem Missionshaushalt arbeiten. Wie sich herausstellte nur durch die Dorffrauen gelangte ich zu dieser Erkenntnis hatte Langpain sich von ihrem Lehrerschwager schwängern lassen, während ihre Schwester im Garten gearbeitet hatte. Ihr im Missionshaushalt gestiegener Brautpreis muss dadurch wohl erheblich gesunken sein. Viele Jahre später habe ich Langpain einmal auf dem Markt in Madang getroffen und war tief betroffen. Aus der quirligen jungen Frau, die ich als Überfliegerin eingestuft hatte, war eine müde, frühzeitig gealterte Frau mit glanzlosen Augen geworden.
Wie sehr habe ich das Zusammensein mit den Biliaufrauen genossen, auch wenn ich dabei immer wieder an Tabugrenzen stieß. Ich spürte, dass ich nur einen winzigen Einblick in eine uralte Kultur gewinnnen konnte. Ich begegnete den Frauen mit offenen, wissbegierigen Augen und spürte, dass sie mich dafür mochten. Das war mir zu diesem Zeitpunkt genug. Deshalb nehme ich gewiss nicht für mich in Anspruch, tiefe Eindrücke in eine Steinzeitkultur gewonnen zu haben. Unter Menschenfressern habe ich mit Sicherheit auch nicht gelebt. Ich habe Menschen er-lebt, die im Umbruch waren, die alte Werte pflegten und gleichzeitig begannen, sie in Frage zu stellen.
Bilums, Netzsäcke aus Biliau, würde ich noch heute aus zig anderen heraus erkennen. Irgendetwas arbeiteten die Frauen immer, selbst, wenn wir teetrinkend und sie betelnusskauend zusammensaßen. Ich sehe das Bild der Frauen vor mir, wie sie ein bilum herstellen. Bis so ein bilum benutzt werden konnte, war viel Arbeit notwendig. Erst waren die Fasern aus den Agaven herauszulösen und zu trocknen. Die Fasern mussten sodann immer wieder vorsichtig aneinandergestückelt und zu einer Schnur gerollt werden. Das taten die Frauen so nebenbei, wenn wir zusammensaßen. Geschickt ein paar Fasern aneinander auf dem haarlosen Oberschenkel zusammenrollen, wieder ein paar Fasern dazu rollen die Schnur wuchs und wuchs. Im nächsten Arbeitsgang wurden die Schnüre eingefärbt die Biliaufrauen stellten farbenfrohe mittelgroße und große bilums her. Nach dem Trocknen im Farbbad begann das Knüpfen. Bei jeder Reihe wurden Schilfgrasstreifen eingelegt, die für den gleichmäßigen Abstand der einzelnen Reihen des Netzsackes sorgten. Ein fertiges bilum war etwas wie ein Wunderwerk.
Ein gefülltes bilum mochte etwa so aussehen: Im unteren Bereich war gesammeltes Feuerholz eingeschichtet, darauf eine Lage Gartenfrüchte wie Süßkartoffeln und Taro alles der leicht gerundeten Form des bilums angepasst. Nun eine zusammengefaltete Decke darauf, und auf diese wurde ein Säugling gebettet. Dieses Wunderwerk wurde dann mit dem Gurt, auf dem Kraushaar liegend, über dem gebeugten Rücken einer Frau getragen.
Michael machte seine ersten Buschtrips, Ein- oder Zweitagesausflüge in andere Küstendörfer, meist zusammen mit mehreren Dorfältesten und jungen Männern als Träger. Wenn er zurückkehrte, war immer viel zu berichten. Einmal kam er nach einer viertägigen Abwesenheit wieder und erzählte erschöpft, wie es ihm ergangen war. Da waren sie also am Strand entlanggewandert, dann hinein in den Dschungel. Die Träger mussten den Weg teilweise mit Buschmessern freischlagen. Immer wieder hatte er am zweiten Tag in seiner Erschöpfung gefragt, wie weit es noch sei. Die Antwort war immer long we liklik, langer Weg ein bisschen. Irgendwann, erzählte er mir, war ich so kaputt, dass ich mich auf dem Weg hingesetzt habe, die Blutegel waren mir egal, die sich an meinen Beinen festgesaugt haben, ich wollte nur noch ausruhen. Am Abend im Dorf habe ich sie mir mit meinem Feuerzeug abgebrannt. Ich teilte ihm meine neuesten Eindrücke mit. An diesem Abend saßen wir noch lange, nachdem der Generator ausgeschaltet war, im Schein einer Kerosinlampe im Wohnzimmer zusammen.