Erkundungstour
Erkundungstour durch Montreal
Dem aufmerksamen Beobachter wird die hohe Zahl der Kirchen in Montreal sofort auffallen - auch wenn sie teilweise im Schatten der Hochhäuser ein eher kümmerliches Dasein fristen. Vor nun fast schon einem Jahrhundert notierte der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, es sei fast unmöglich, einen Stein in den Straßen der Stadt zu werfen, ohne eine Kirche zu treffen! Für die Existenz dieser Vielzahl an Kirchen gibt es eine einfache Erklärung: lange Zeit war die Religion das Fundament der kanadischen Gesellschaft, die sich bekannterweise ursprünglich aus zwei Nationen zusammensetzte, nämlich der englischen und der französischen. Da die beiden Gesellschaften verschiedenen Konfessionen angehörten, wuchs die Zahl der Kirchen einfach um das Doppelte an ...
Vieux-Montreal: die Altstadt wird begrenzt von den Straßenzügen Notre-Dame, Berri, St.-Paul und McGill. Der historische Kern befindet sich an der Place Jacques-Cartier (Plan II, D3) und ist von Kopf bis Fuß auf den Fremdenverkehr ausgerichtet; gleichwohl hat sich der heiter-betriebsame Platz mit seinen Cafés und Restaurants einen Rest provinzieller Ausstrahlung bewahrt. Wer aber einen typischen alten Stadtkern wie in unseren Breitengraden erwartet, mag enttäuscht werden. Vielleicht ist es keine Liebe auf den ersten Blick; im Gegensatz zu europäischen Altstädten, die in der Regel ein zusammenhängendes Netz aus engen Gassen und historischen Gebäuden bilden, findet man in Montreal einen unzusammenhängenden Architekturmix vor. Die meisten alten Gebäude liegen weit verstreut zwischen Lagerhallen, Banken oder Verwaltungsgebäuden aus dem 19. Jh. Rund um die Place Jacques-Cartier erheben sich die ältesten erhaltenen Gemäuer. Etwas weiter entfernt das Château de Ramezay, 280, Notre-Dame Est, T. 861-37 08, wo ein bescheidenes historisches Museum untergebracht ist. Einlaß täglich von 10 bis 16.30h; außerhalb der Hauptreisezeit montags geschlossen. Eintrittsgeld bereithalten. Das einstige Wohnhaus des elften Gouverneurs von Montreal (1705) zeigt Einrichtungsgegenstände, Kostüme, Gemälde usw. aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Ebenfalls sehenswert: das Maison Papineau (1785), 440, Rue Bonsecours, wo der gleichnamige Anführer des nationalen Aufstandes von 1837 lebte; das Maison du Calvet (1770), 401, Rue St.-Paul Est, sowie das Maison Dumas (1800), 445, Rue St.-Paul. Kurz davor der Marché Bonsecours, ein hervorstechendes Marktgebäude mit Kuppeldach von 1845. Weiter westlich liegt das Maison Beaudoin, 427, Rue St.-Vincent (1780). In der Rue St.-Louis 442 lohnt sich ein Blick auf ein außergewöhnliches Wohnhaus (1890) aus rotem Backstein mit viktorianischem Kranzgesims, Dachfenstern mit Zierleisten und zwei anmutig gewundenen Treppen auf beiden Seiten.
Gegenüber fällt ein heruntergekommenes Gemäuer auf, dessen eine Hälfte von 1755 stammt, die andere von 1815. Einige Schritte davon entfernt das Maison Brossard (1827). Eine weitere Fundgrube für Freunde alter Behausungen ist die Place d´Armes mit dem eleganten Sulpizianerseminar (Vieux Seminaire), 1684 erichtet. Auf dem Weg zur Basilika Notre-Dame (1824) das Türmchen mit Uhr beachten. Der Innenraum dieser gotischen Kirche ist reich ausgestattet; auf den Kirchenfenstern dargestellt sind Bibelszenen sowie die wichtigsten Ereignisse der Stadtgeschichte. Rundum Kaufmannshäuser aus dem 19. Jh.
Die Place d´Youville lohnt gleichermaßen einen Abstecher: alte Gebäude wie das Hôpital général des Soeurs Grises (1694-1765) und die Écuries de Youville (1827) sind hervorragend restauriert worden. Besonders eindrucksvoll ist die wuchtige, beinahe fensterlose Geschlossenheit der Écuries (Pferde- oder Marställe). Wohltuende Ruhe strahlt der Garten im Innenhof aus.
Nachdem der Wert der alten Bausubstanz erkannt worden war, dauerte die "Inbesitznahme" der alten Lagerhallen durch die unvermeidlichen Modeboutiquen, Antiquitätenläden usw. nicht lange: die Altstadt wurde zum Treffpunkt der jungen urbanen Mittelschicht. Alt-Montreal lebte auf und erfuhr dadurch immerhin eine Art Verjüngung. Nach Büro- und Ladenschluß zwischen 17 und 20h wirken die Straßen zunächst wie ausgestorben. Danach beleben sich jene wieder, wo (teure) Restaurants und Diskotheken, letztere ganz nett und erschwinglich, um die Gunst der Amüsierwilligen buhlen.
Das "Dorf" Saint-Denis: gemeint ist jener Teil der Rue St.-Denis zwischen Rachel und Ste-Catherine (Plan I, B3-C4) sowie einigen angrenzenden Straßen. Das "Dorf" verdankt seine Entstehung den teilweise realisierten Träumen schriller Paradiesvögel und Neureicher. Das Publikum: Vornehmlich Künstler, Studenten, Handwerker und Kétaines ("Provinzler") der östlichen Stadtteile.
Zahlreiche Restaurants, Diskotheken und Straßencafés: die Stimmung erinnert an typische Studentenstädte, besonders südlich von Sherbrooke, wo in der Tat auch die "Université du Québec à Montreal" (UQAM) nicht weit ist. Im Sommer geben freilich Touristen den Ton an, was uns aber nicht am Vorbeischauen hindern sollte.
La "Catherine": zwischen der Rue Bishop und der Rue St.-Hubert. Breite Boulevards, deren Gestaltung zwischen hausbacken und prahlerisch schwankt. Große Kaufhausketten, Modeläden, Kinos, an der Rue St.-Laurent der Straßenstrich, ein Höllenverkehr ... Am besten zu Fuß mitten durch, so wird der Gegensatz zum alten Montreal mehr als deutlich. Auf der Höhe von Jeanne-Mance die Place des Arts mit ihrem riesigen Kulturtempel überqueren, in dem zahlreiche Theatersäle, Konzerthallen und Kinos sowie das Museum für Zeitgenössische Kunst untergebracht sind (einst bei der Cité du Havre).Im Süden der Complexe Desjardins, ein Komplex, der Appartements, Hotels, Kinos und Einkaufspassagen umfaßt. Ein regelrechtes Labyrinth und gewiß nicht jedermanns Geschmack. Von Saint-Hubert bis Papineau hat sich die "Catherine" zum Schwulenviertel Montreals entwickelt mit etlichen Läden, Restaurants, Kneipen usw. Das dörfliche Ambiente hier findet schon eher unser Gefallen. Aber über Geschmack läßt sich bekanntlich streiten.
Musée d´Art contemporain: das Museum für Zeitgenössische Kunst ist inzwischen an die Place des Arts umgezogen. Bei Infotouriste nach den Öffnungszeiten fragen. Unter den Exponaten zahlreiche kanadische und internationale Werke ab etwa 1950.
"Ouest"-Viertel: ein Stadtbezirk mit leicht anglophonem "Übergewicht" zwischen den Straßen Sherbrooke, Bishop und René-Lévesque bis zum Square Dorchester. Die Rue Crescent scheint ausschließlich aus modischen Restaurants mit kleiner Terrasse, urbritischen Mittelstandskneipen und Yuppie-Diskotheken zu bestehen. Abends verwandelt sich die Rue Stanley in eine ungemein belebte, man möchte sagen schillernde Flaniermeile. Die Preise sind gleichfalls "schillernd", was aber niemand von einem Bummel durch das reizvolle Viertel abzuhalten braucht. Wer sucht, findet sein Vergnügen auch preiswerter.
Chinesisches Viertel: im Viereck zwischen René-Lévesque, Saint-Laurent, Viger und Bleury. Die Rue La Gauchetière markiert den Mittelpunkt des chinesischen Viertels ... oder zumindest von dem, was davon übriggeblieben ist: hier hat die Abrißbirne derart gehaust, dass von Kritikern das Wort "Blitzkrieg" zur Veranschaulichung der Zerstörungswirkung herangezogen wird. Das deutsche Wort "Blitz" hat bekanntlich als wenig rühmliches Überbleibsel der letzten beiden Kriege Eingang in den englischen und französischen Sprachgebrauch gefunden. Der Grund für diese Veränderungen liegt im Bau einer Autobahn, die sich nunmehr von Ost nach West durch die Stadt zieht. Die städtebauliche Erneuerung der Innenstadt bewirkte ein Übriges. Einige wenige Häuserblocks aus rotem Backstein sind immerhin noch zu sehen, und einige efeuüberwachsene Häuser hat man verschont. Seit kurzem wird aber eine Renovierung der übriggebliebenen Bausubstanz angestrebt, deren Auswirkungen sich schon bemerkbar machen. Erinnert uns fatal an die Zustände zu Hause: erst fest druff und dann Preise an Schulklassen verleihen, die den kläglichen Rest ökologisch sanieren oder ein Zäunchen drumherum errichten.
Place Ville-Marie (Plan II, B4) und "Ville Souterraine": wer die zweifelhaften Errungenschaften des modernen Städtebaus studieren möchte, ist hier genau richtig. Man taucht hinunter in eine eigene Stadt unter der Erde: in den zweitgrößten Einkaufstempel der Welt. Wer in Paris schon einmal im Forum des Halles herumspaziert ist, kann sich ungefähr eine Vorstellung davon machen. Die Stuttgarter Klett-Passage dagegen lassen wir als Vergleich nicht gelten: die reißt bestenfalls architektonisch genügsame Schwaben vom Hocker, deren Ästhetikempfinden sich mangels anderer Gelegenheiten an Sparkassenbauten schulen muß. Zurück zur Place Ville-Marie: wie ein riesiges Spinnennetz von etwa 30 km Länge ist diese unterirdische Stadt entworfen, mit kilometerlangen Tunnels und Treppen, die auf verschiedene Stockwerke führen. Autobahnen, Stadtbusse, der Hauptbahnhof und die U-Bahn besitzen eigene Anschlußstellen. Über zweitausend Läden, zweihundert Restaurants und Kneipen, Hotels, vierzig Kinos, fünfundvierzig Banken, Theater, Konzertsäle, Ärzte, Anwälte, U-Bahn-Stationen und Kunstgalerien haben hier Platz: kein Problem also, sich tagelang herumzutreiben, ohne in die Sonne blinzeln zu müssen. An der Place Ville-Marie treffen sich vor allem Teenies auf der ständigen Suche nach den neuesten Klamotten. Sogar die aktuellsten Börsenberichte sind ablesbar. Leider handelt es sich auch um den idealen "Arbeitsplatz" für Drogenabhängige auf Freiersuche!
Geboren wurde die Idee einer unterirdischen Stadt bereits Anfang der sechziger Jahre, als der erste Wolkenkratzer in der Innenstadt geplant wurde. Gleich nebem dem Neubauprojekt lag eine tiefe Schneise, in der früher die Eisenbahnschienen verlaufen waren. Anstatt nun das Loch aufzufüllen oder einfallslose Tiefgaragen zu bauen, wurde ein großes Einkaufszentrum mit Kinos und Cafés geschaffen. Die Place Ville Marie, Keimzelle der Ville souterraine, war fertig und wurde schnell zum beliebten Treff der Montrealer. Die Idee machte Schule: wann immer in den folgenden Jahren irgendwo in der Innenstadt gebuddelt wurde, legte man neue Passagen und Untergrundzentren an. Ebenso beim Bau der U-Bahn: die Ein- und Ausgänge der Metro wurden gleich in Wohnhäuser und Bürogebäude gelegt und direkt an die Shops im Souterrain angeschlossen. Niemand mußte mehr hinaus in die Kälte, wenn draußen der gefürchtete Blizzard durch die Straßen fegte.
Mehrere Dutzend Eingänge führen in diese künstliche Unterwelt hinab, beispielsweise von den Hochhäusern der Place Ville-Marie und den U-Bahn-Stationen "Victoria" und "Bonaventure". Längst ist es aber nicht mehr allein das Shopping- und Dienstleistungsmekka, das den Reiz der unterirdischen Stadt ausmacht: Brunnen und Skultpturen, Kunststoffbäume und auch echtes Grün schmücken die Passagen. Jede der Metrostationen wurde von einem anderen Künstler gestaltet - mit Hinterglasmalerei, Neonkunst und Großplastiken. Die Universität und das Kongreßzentrum sind ebenso an die bunte Glitzerwelt unter Tage angeschlossen wie das spektakuläre Museum für Moderne Kunst. Sogar der liebe Gott hat Anschluß an die Unterwelt: die Ladengalerien der Promenades de la Cathédrale haben direkten Zugang zu einer neugotischen Kirche aus dem Jahre 1859. Unter dem 51-stöckigen Büroturm in der Avenue de la Gauchetiere (Hausnummer 1000) findet man sogar einen Eislaufring - schöne Grüße vom Winter draußen über der Erde! Nur das eigentliche Nachtleben Montreals, die vielen guten Jazzclubs, die Discos und Bars der Stadt sind paradoxerweise nach wie vor oberirdisch angesiedelt, auch wenn sie das Tageslicht eigentlich gar nicht brauchen. Aber können sie im Sommer die Flaneure besser anlocken, und winters ist man per Taxi auch schnell da.
Dow-Planetarium: 1000, Rue St.-Jacques Ouest (Plan II, C5), im Viertel um die Place Bonaventure, T. 872-45 30. Ganzjährig zugänglich, aber nur bei Vorführungen. Die knapp einstündige Vorstellung wird kommentiert. Eintrittspflichtig. Ist die sich möglicherweise zunächst einstellende Platzangst erst mal überwunden, läßt sich die Weite des Raumes genießen. Ganz lehrreich, und nicht nur für astronomisch Bewanderte. Eine riesige Laterna Magica, die Erde, beherrscht den runden Saal mit vierhundert Plätzen und wirft das Firmament wirklichkeitsgetreu mit Hilfe ausgeklügelter und modernster Technik auf die kuppelförmige Leinwand. Schon beeindruckend! Während die mit dem bloßen Auge erkennbaren Planeten (Merkur, Venus, Jupiter, Mars und Saturn) ihre Position mit einer Geschwindigkeit verändern, die im Verhältnis zur Bewegung des gesamten Firmamentes steht, bewegt sich das Planetarium im Zeitraffertempo, damit besondere Vorgänge, wie zum Beispiel eine Sonnenfinsternis, in wenigen Minuten als kompletter Ablauf beobachtet werden können. Dies nur ein Beispiel aus der Trickkiste.
Musée des Beaux-Arts (Museum der Schönen Künste): 1379, Rue Sherbrooke Ouest (Plan I, B4), M. Guy oder Peel sowie Bus 24 (Haltestelle Bishop). T. 285-16 00. Ermäßigter Eintritt für Studenten. Täglich von 11 bis 17h geöffnet. Anscheinend das älteste Museum des Landes. Sehenswerte Sammlung kanadischer Malerei und indianischer Kunstgegenstände. Vertreten sind auch europäische Schulen, darunter die britische mit Porträts von Gainsborough, Hogarth, Reynolds und Ramsey; ferner Möbel und sonstige Kunstobjekte. Achtung: die Gemäldesammlung ist im Neubau gegenüber, zusammen mit Designobjekten u.ä., an der Rue Sherbroke zu sehen. Nicht so leicht zu finden, da im Obergeschoß "versteckt". Vis-à-vis, im alten Museumsgebäude, finden häufig Wechselausstellungen statt.
Musée du Cinéma (Kino-Museum): 335, Bd. de Maisonneuve Est, T. 842-97 63, M. Berri-Uquam. Einlaß von 18 bis 21h, montags geschlossen. Gehört zum Quebecer Filmarchiv. Unter den Exponaten in einem Raum Gegenstände aus den Kindertagen des Films. Täglich wechselnde Filmvorführungen.
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