Alltag

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Ungewohnte Temperaturen in den Tropen

Erste Eindrücke aus der neuen Heimat

Verhaltensregeln im Alltag in Papua-Neuguinea

Wir setzten unseren Weg fort, vorbei an Kokosplantagen, angelegt bereits zu Zeiten der deutschen Kolonisierung. Mein Herz hüpfte vor Freude beim Anblick all dieser Palmen. Am Straßenrand nahm ich meine ersten bilums wahr. „Was tragen die denn da?“, fragte ich Onkel Hermann. „Das sind Netzsäcke, bilums“, antwortete er. „Sie werden traditionell von den Frauen aus Sisal, der aus Agaven gewonnenen Faser, hergestellt. Jede Sippe hat ihre eigenen Muster und Farben, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Du wirst noch unendlich viele Muster kennenlernen.“


Befremdet blickte ich auf die sonderbaren Gestalten am Straßenrand. Ich sah einen hochgewachsenen Mann mit einem Buschmesser, das ich als Machete einordnete. In einigem Abstand folgte eine Frau, gebeugt unter der Last eines prall gefüllten Netzsacks auf ihrem Rücken. Der Tragegurt des Netzes lag am Vorderkopf auf und trug so in der Hauptsache das Gewicht. Unter dem Gurt des Netzsacks machte ich ein zusammengefaltetes Tuch aus, das wohl diese Last mildern sollte. „Warum hilft der Kerl seiner Frau nicht beim Tragen?“ fragte ich alarmiert. „Ja, weißt du“, erwiderte Onkel Hermann genüsslich auskostend, „das ist Tradition. Der Mann geht voraus und wehrt Gefahren wie wilde Tiere oder Feinde ab. So kann die Frau ihren Netzsack ungefährdet tragen“. Na bravo, dachte ich, nun bin ich also in einer Machokultur gelandet.


Mit der Zeit würde ich lernen, die Netzsäcke per Muster, Farbe, Größe und Form bestimmten Stammesverbänden zuzuordnen. Aber im Moment war ich schockiert, ausgerechnet in meinem Traumland eine offensichtliche Tradition als verachtenswert einstufen zu müssen. Ich ahnte nicht, dass ich mir viel später einmal erst die Frage stellen würde, woher wir das Recht nahmen, unsere Kultur wertend in diesem Land einzubringen.


Onkel Hermann und Tante Berta bewohnten ein Haus wie viele Weiße in Lae. Ein schmuckloses Holzhaus auf Betonpfosten gebaut und mit Wellblech abgedeckt. Tante Berta nahm uns herzlich auf. Es war Abend und sie hatte zum Dinner einen Eintopf aus Süßkartoffeln, Blattgemüse vom Markt und Rindfleisch vorbereitet. Rindfleisch war hier im Land viel billiger als Schweinefleisch, erklärte sie uns. Schweine wurden als Zahlungsmittel genutzt und nur zu besonderen Anlässen geschlachtet. Für diese pragmatische Frau war es keine Frage, die Familie ihres Neffen bei sich aufzunehmen. Wie meine Schwiegermutter war sie in Neuguinea aufgewachsen, hatte als junge Frau einen Mitarbeiter der Mission geheiratet und kehrte mit ihm wieder in ihr Geburtsland zurück.


Beim Abendessen saßen wir bereits im Schein von elektrischem Licht. Noch war es neu für mich, dass in diesem Land um circa halb sieben Uhr abends bereits die kurze Dämmerung vorbei war und schwärzeste Finsternis herrschte. Obwohl alle Fenster mit Fliegengittern versehen waren, schwirrten jede Menge winziger Insekten um die Lichtquellen. Zum ersten Mal hörte ich als Abendkonzert das Quaken der Frösche und das fast ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden.


Gleich am ersten Abend hatte ich ein schmerzliches Erlebnis. Als ich Amos zum Schlafen brachte, drehte er in seinem Bettchen seinen Kopf weg von mir. Ich ahnte, dass das kleine Kerlchen völlig durcheinander sein musste. So verhielt er sich während der ganzen sechs Wochen, die wir uns in Lae aufhielten. Wenn ich dann seinen Rücken streichelte und einen Zeigefinger in seine Hand stahl, hielt er diesen fest, bis er eingeschlafen war. Tagsüber erlebte man wieder das gewohnte, fröhliche, pflegeleichte Kind – am Abend folgte das gleiche Ritual.

Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, war Tante Berta schon beim Brotbacken. Sie spannte mich gleich mit ein, und ich bekam mein erstes Brotrezept. Das ewige Toastbrot aus Weißmehl mochten die Deutschen nicht mehr essen, erklärte sie mir. Außerdem würden in der Bäckerei garantiert nicht die Mehlwürmer ausgesiebt – sie zeigte mir ihr Sieb, in dem es mächtig „lebendig“ krabbelte. Brot „Tante Berta“ würde ich noch oft backen. Nachdem das Brot ausgebacken war, nahm sie uns zum Marktplatz mit und führte uns gleich in gewisse Benimmregeln ein. An der Küste sollte eine Frau – ein etwas missbilligender Blick glitt zu meinem ziemlich kurzen Rock – keine Oberschenkel zeigen. Busen ja, das war o.k., genauso wie Stillen in der Öffentlichkeit, aber Oberschenkel waren tambu, tabu. Tatsächlich sah ich auf dem riesigen Marktplatz etliche Frauen, die auf dem Boden hockend ihre Bluse hochschoben und ihr Baby oder auch größeres Kleinkind stillten.


Ja, und als Frau sollte man nie über auf dem Marktboden ausgebreitetes Essen steigen – tambu, tabu – die Frau könnte ja gerade ihre Menstruation haben und somit das Essen verunreinigen. Tante Berta zeigte uns Süßkartoffeln, Taro, Yamswurzeln sowie verschiedene Blattgemüse und Früchte. Sie verständigte sich hauptsächlich in Pidgin. Wenn sie auf Kâteleute traf aus der Gegend um Finschhafen, in der sie aufgewachsen war, konnte man jäh eine andere Frau erleben. Aus der herben, etwas farblosen Frau wurde plötzlich eine lebhafte, authentische Person. Sie befühlte Papayas, klopfte auf Wassermelonen und erklärte dabei unermüdlich. Sollte ich einmal Stuhlgangprobleme haben – ein paar Löffel Papayakerne vor dem Frühstück und die Probleme seien behoben. Die „Eingeborenen“, wie Tante Berta sie nannte, begegneten mir mit dem kleinen Amos auf der Hüfte ausgesprochen freundlich und offen. Ich versuchte mein Bestes, die wenigen Worte Pidgin, die ich bereits kannte, bei ihnen unterzubringen. Sie vermittelten mir in keiner Weise das Gefühl, ein Fremdkörper zu sein, ich war Neuling in ihrem Land, damit konnten sie offensichtlich umgehen.