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„Ökologischer“ Tourismus

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„Ökologischer“ Tourismus

Der sogenannte „sanfte“ Tourismus, das Herbeilocken umweltbewegter und naturversessener Besucherscharen also, steckt ähnlich wie das winterliche Vögelfüttern in einem grundsätzlichen Dilemma: indem er das Bewußtsein für die geschundene Kreatur schärft, trägt er sein Scherflein zur weiteren Zerstörung der letzten Naturrefugien bei (im Falle der Winterfütterung durch Verbreitung von Krankheiten und Förderung den ohnehin als Kulturfolger nicht bedrohten Arten). Es verhält sich drum der verpönte, vergleichsweise jedoch genügsame Pauschal-Kanarien-Kurzurlauber in seinem Bettenburgenappartment häufig weniger umweltzerstörend (da sowieso nichts mehr zu zerstören ist) als sein moralisch vemeintlich überlegener Nachbar, der monatlich seine Beiträge an den BUND abführt und zweimal im Jahr zur Expedition in die letzten „unberührten“ Naturlandschaften der Erde rüstet. Deshalb setzten wir „ökologisch“ auch hübsch in Anführungszeichen.

Nach diesem bescheidenen pädagogischen Exkurs zurück zur Saguenay-Mündung, einem im oben angesprochenen Sinne klassischen Fall: vor zwanzig Jahren wäre noch niemand auf den Gedanken verfallen, „Wal-Kreuzfahrten“ zu organisieren ... Eigentlich war es ein Zufall, der zu diesen Exkursionen geführt hat: ein Fischer aus Tadoussac lud Jugendherbergsgäste eines Tages zu einem Ausflug auf seinem alten Kahn ein. Zum großen Erstaunen des einheimischen Fischers, für den die Meeressäugetiere so alltäglich waren wie für die Kölner ihre täglichen Verkehrsstaus, kehrten die Teilnehmer ganz außer sich vor Begeisterung zurück! Über Mund-zu-Mund-Propaganda stieg das Interesse an den Bootsfahrten daher rasant. Unser liebenswürdiger Fischer fuhr auch weiterhin mit Gästen an Bord zu Beobachtungsgängen hinaus, zeigte den wunderlichen Europäern mit dem größten Vergnügen die auftauchenden Wale und konnte sich mit den Trinkgeldern seine Zigaretten oder sein Bier finanzieren ...

Jahre später tauchten die ersten Schlauchboote auf der Bildfläche auf. Ein Unternehmen pries organisierte Wal-Beobachtungsfahrten auf dem Fluß an. Der alte Fischer war nicht geneigt, seine „Kreuzfahrten“ aufzugeben, obwohl die Behörden inzwischen sein Holzschiff als „nicht den Sicherheitsbestimmungen konform“ einstuften ... Seither hat sich der „Wal-Tourismus“ zu einem Millionengeschäft für verschiedene Unternehmen in Tadoussac ausgeweitet und verhilft dem Nest zu lebenswichtigen Einnahmen. Wir geben zu, dass dieses einträgliche Geschäft auch einen Riesenvorteil hat: nachdem die Touristen die mächtigen Meeressäuger in den Fluten des Saguenay bewundert haben, finden sie sich mit schöner Regelmäßigkeit im Lager der Walschützer wieder ...

Wal ist nicht gleich Wal

Wale gehören zur Säugetierordnung der Cetaceen, darüber herrscht in der Regel Einigkeit. Die einzelnen Walarten werden dagegen oft durcheinandergebracht. Die Cetaceen teilen sich in zwei Unterordnungen: in die der Bartenwale (Mysticeti) und in die der Zahnwale (Odontoceti). Die Mysticeti oder Bartenwale gliedern sich in drei Familien und fünf Gattungen. Dazu zählen, der Größe nach vom kleinsten bis zum größten: Kleiner Finnwal (etwa zehn Meter lang), Grauwal, Glattwal, schwarzer Glattwal, Buckelwal (der erstaunliche Luftsprünge vorführt), Seiwal (etwa zwanzig Meter lang), gemeiner Finnwal und schließlich der majestätische Blauwal, das größte Lebewesen der Erde überhaupt! Ein Blauwal kann eine Länge von 35 m erreichen (womit er die Dinosaurier um 10 m übertrifft!) und bis zu 145 t wiegen (das entspricht dreißig Elefanten!). Seine Körpermaße sprengen fast unser Vorstellungsvermögen: allein die Zunge wiegt durchschnittlich vier Tonnen, sein täglicher Nahrungsbedarf setzt sich aus drei Tonnen Plankton und Fischschwärmen zusammen. Seine berühmten Atemwolken (Blast) bläst ein Blauwal sechs Meter hoch in die Luft. Mindestens eine Stunde kann er unter Wasser bleiben, ohne Luft zu holen, wobei er in eine Tiefe von bis zu 360 m abzutauchen vermag ... Seriösen Schätzungen zufolge durchpflügen heute nur noch rund tausend Blauwale die Weltmeere. Die Fortpflanzungsmöglichkeiten sind durch diese geringe Population bedrohlich eingeschränkt, denn die Trächtigkeit bei Blauwalen dauert fast ein Jahr ...

Die zweite Unterordnung der Cetaceen, die Odontoceti, umfaßt sämtliche Zahnwalarten: Narwal, Kleiner Tümmler, Delphin, Weißwal (Beluga), Schwert- und Grindwal (der Schwertwal ist der einzige, der sich seinerseits von Walen ernährt, vor allem von der Leber) und schließlich der mit Abstand größte Vertreter dieser Unterordnung, der Pottwal. Pottwale sind mit „nur“ 15 m im durchschnittlich ungefähr halb so groß wie Blauwale. Bei einem Vergleich der Gehirngewichte liegt er aber mit seinem Sieben-Kilo-Hirn ganz vorn und hat damit das größte aller Lebewesen auf der Erde. Bis zu 1000 m tief kann der Pottwal tauchen. Sein gewaltiger Kiefer erschreckte die vergleichsweise winzigen Seefahrer seit Menschengedenken; wahrscheinlich sorgte der alte Mythos vom bedrohlichen Meeresungetüm lange dafür, dass den Walen böse Absichten unterstellt wurden. Der berühmte Moby Dick des Schriftstellers Herman Melville war übrigens nichts anderes als ein Pottwal ... Tatsache ist, dass weder Pott- noch andere Wale jemals Menschen angreifen ... falls sie nicht mit Harpunen attackiert werden, was sie verständlicherweise in Rage versetzt!

Gefährlichster Feind der Wale: der Mensch

Seit Menschengedenken werden Wale gejagt. Was aber den Küstenbewohnern zunächst zum nackten Überleben diente, weitete sich ab dem 12. Jahrhundert zu einem regelrechten Walfängergewerbe aus. Insbesondere Basken, später auch Norweger, Japaner, Russen und Azorianer, taten sich als Experten in dieser blutigen Branche hervor. Für erstere war die Entdeckung, dass die erbeuteten Wale ihnen tonnenweise Öl für die fettreiche baskische Küche lieferten, ein wahrer Glücksfall ... Auch weitere begehrte Erzeugnisse ließen sich aus der unerwartet großen Ausbeute herstellen: Seifen, Schmiermittel – das Öl der Walleber wurde lange Zeit im Uhrengewerbe verwendet, wegen seiner einzigartigen Beschaffenheit! – Walfett für die Beleuchtung – ergiebiger als Wachs und effektiver als Talg – aber auch Elfenbein, Leder, „potenzfördernde“ Mittel und grauer Amber, ein dem Waldarm entnommenes Stoffwechselprodukt, das in der Medizin Verwendung findet. Und so mancher wird sich noch erinnern, als Kind mit Lebertran traktiert worden zu sein. Sogar in Paris wurde Walspeck verkauft! Mehrere europäische Städte verdanken ihren Wohlstand tatsächlich dem Walfang; sogar viele der großen Entdeckungsfahrten auf den Weltmeeren wurden unter dem Deckmantel des Walfanges in Angriff genommen.

Erst im 19. Jahrhundert setzte, mit den ersten schnellen Dampfbooten und vor allem mit den weitreichenden Granatharpunen – eine folgenreiche Erfindung des Norwegers Svend Foyn (1865) – ein regelrechtes Abschlachten der Wale in großem Umfang ein. Davor wurden die Walfänger als Volkshelden gefeiert: Jäger, die im fairen Kampf mit der Kreatur ihr Leben aufs Spiel setzen.

Dann setzte die großangelegte Treibjagd auf die Riesensäuger ein: die industrialisierten Länder benötigten immer mehr Öl, die Amerikaner stiegen in das Geschäft ein, entwarfen immer schnellere Schiffe und beschäftigten bis zu siebzigtausend Leute in der Walindustrie ... Skandinavier, Russen und Japaner zogen nach: gewaltige schwimmende Fabriken (mit Schiffslängen zwischen 100 und 160 m) ermöglichten es im Lauf des 20. Jahrhunderts, annähernd eineinhalb Millionen Wale abzuschlachten! Mit dem Öl der getöteten Tiere wurden nun Kosmetikartikel, Fleisch sowie Katzen- und Hundefutter hergestellt.

Die barbarische Abschlachterei wurde 1948 durch das Einschreiten einiger Staaten gedrosselt, darunter erstaunlicherweise sogar die unter dem Druck der öffentlichen Meinung stehenden Vereinigten Staaten. Beschlossen wurde die Einsetzung einer internationalen Walfangkommission zur Regelung (nicht Abschaffung!) der Waljagd, um das Aussterben der bedrohtesten Arten zu verhindern, wobei allerdings auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben dürften, denen zufolge eine Kuh, die man melken möchte, nicht geschlachtet werden sollte ... Gleichwohl ein lobenswerter Gedanke – wäre da nicht lange Zeit die Weigerung einiger Länder gewesen, dem Aussschuß beizutreten. Schließlich beugten sich sich die meisten dem Druck von Boykott-Androhungen.

Trotzdem existieren bis auf den heutigen Tag Walfangbastionen – Japan, aber auch Norwegen – deren Fischereiindustrie die geltenden Bestimmungen unter dem Deckmantel „wissenschaftlicher Forschungsvorhaben“ weiterhin offen verletzt. Der Lauf der Welt: einer zeigt mit dem Finger auf den anderen, egal, ob es sich um Walfang, Menschenrechte, Todesstrafe, Naturzerstörung, Bevölkerungswachstum, Atomwaffen oder CO2-Ausstoß handelt. Und so lange alle Staaten bei der Plünderung des Planeten eilfertig mitmischen, besteht wenig Anlaß zur Hoffnung ...

Die „Regenbogenkämpfer“

Genug der Worte über die Jäger, die nun ihrerseits zu den Gejagten gehören ... und zurück zu den Walen selbst. Eine alte Indianergeschichte erzählt: „Eines Tages hatte der weiße Mann es geschafft, unsere Mutter, die Erde, zu schänden. Also versammelten sich die Regenbogenkämpfer („Rainbow-Warriors“!), um den an der Natur begangenen Verbrechen ein Ende zu setzen.“ Die Indianer haben Recht behalten. Einflußreiche Friedens- und Naturschutzverbände sind in den letzten Jahrzehnten entstanden – darunter zum Beispiel Greenpeace (deren Keimstätte tatsächlich in Kanada liegt; s. Kapitel „Vancouver“) – die sich insbesondere den Schutz der Wale zur Aufgabe gemacht haben. Einzelne Mitglieder sind sogar so weit gegangen, ihr Leben ernsthaft aufs Spiel zu setzen, indem sie sich mehrmals zwischen bedrohte Wale und (explosive!) Harpunenkanonen japanischer oder sowjetischer Schiffe stellten. Derlei leidenschaftliche und hartnäckige Aktionen waren nicht vergebens: nachdem eine Harpune nur wenige Zentimeter am Kopf des Gründers von Greenpeace vorbeigezischt war, gaben die Russen die Jagd auf ...

Anders die Japaner: deren fabrikähnliche Schiffe verarbeiten auch weiterhin Millionen von Tonnen Walfleisch (und ihre Planierraupen zerstören die tropischen Regenwälder, aber das ist eine andere Geschichte!). Sie drohen selbst mit dem Delphinfang, um bei abnehmenden Beständen keine Verluste zu machen. Damit ist alles nur eine Frage der Zeit: Wissenschaftler haben berechnet, dass als erste die Blauwale bis Ende des Jahrzehnts vollständig ausgerottet sein werden ... Also ganz fix Protestbriefe schreiben! Kleiner Hinweis für alle Greenpeace-Spender: Aufkleber mit der „Weissagung der Cree“ („Wenn der letzte Baum gerodet ist ...“) auf dem Kofferraumdeckel finden wir mindestens genauso peinlich wie „Ich fahre freiwillig 100/80/30“ ...


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