Rituale

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Große Bräutigamswahl

Erfahrungsreiche Zeit an der Pazifikküste

It´s time to say goodbye – Abschied von Billiau

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Vor den jungen Männern stehende Dorfälteste reichten ihnen nun eine Kostprobe ihres traditionellen Essens. Sie nahmen je einen Bissen Taro, Kochbanane, Süßkartoffel, und Yamsfrucht in den Mund. Hinter ihnen stehende Männer begannen, sie mit Wedeln symbolisch auszupeitschen, so dass sie die Bissen wieder ausspuckten. Damit war das Fasten offiziell beendet. Die jungen Männer waren zu vollberechtigten Männern ihrer Gesellschaft geworden und die Mädchen hatten die Wahl, sich einen von ihnen als Ehemann auszusuchen.


Das folgende Festessen war köstlich. Als besonders köstlich empfanden wir es, dass wir überhaupt dabei sein durften. Mehrere Stunden saßen wir auf dem Dorfplatz zusammen und unterhielten uns mit den Dorfleuten. Das Essen wurde über den Feuerstellen warm gehalten und immer wieder etwas davon angeboten. Gananui hielt sich von uns ein wenig entfernt, wie ich verstehend bemerkte – unsere Freundschaft stand, wie sich gezeigt hatte, auf recht fragilen Fundamenten. Obwohl ich aufmerksam war, konnte ich kein einziges der Mädchen bei der avisierten „Bräutigamswahl“ entdecken. Aber dadurch wollte ich mir dieses besondere Erlebnis nicht verderben lassen. Als wir uns am Abend im Schein unserer Taschenlampen auf den Heimweg machten, klangen in meinen Ohren noch die Melodien der Singsing-Gruppe nach.


Niemals habe ich mich in Begesin so heimisch gefühlt wie in Biliau. Biliau erschien mir wie die Antwort auf alles, was ich mir jemals gewünscht hatte. Ich fühlte mich dort zutiefst „zu Hause“, am Ort meiner Bestimmung angekommen. Oft habe ich später gedacht: hätte man uns in Biliau gelassen, ich hätte sicherlich nie das Bedürfnis gehabt, dieses Land zu verlassen. Wie es scheint, sind Erfahrungen weder etwas, das wir uns aussuchen, noch etwas, das wir vermeiden können.

Unsere Zeit in Biliau neigte sich dem Ende zu und wir machten uns schweren Herzens daran, wieder einmal unsere Überseetonnen zu packen. Ich bringe es nicht fertig, die Trauer, den Abschiedsschmerz zu beschreiben. Es blieb mir nur, die notwendigen praktischen Schritte zu tun – und dann hieß es Abschiednehmen. Abschied von Menschen, einem Haus, Gegenständen, Gerüchen, Melodien, tiefen Eindrücken. Abschied nehmen, das war und ist ein schwieriges Thema für mich.


Die Simbang, die uns gebracht hatte, war im Morgengrauen da, um uns abzuholen und nach Madang zu bringen. Von dort sollten wir weiterfliegen nach Begesin. Ein letztes Mal wanderte ich mit Amos auf der Hüfte durch das taufeuchte Kunaigras den Pfad hinunter zum Strand. Weiter draußen sah ich die Simbang ankern und musste bei der Erinnerung an unsere Ankunft meine Trauer schlucken. Wie damals stieg nach der kurzen Dämmerung die Sonne über dem Meer auf und ließ noch einmal all das, was ich liebgewonnen hatte, aufleuchten. Im Dorf machten wir kurz Halt, ließen unsere Blicke über die Häuser schweifen und folgten dem Weg weiter zum Strand. Wieder standen die hochgewachsenen Menschen hier, darunter meine Freundin Gananui mit Mann und Kindern. Wir hatten am Vorabend unseren echten Abschied genommen, waren vertraut am Strand gesessen und hatten uns gegenseitig unserer Zuneigung versichert. Nun stand sie da wie eine Fremde, war eingereiht in die Reihe der Dorffrauen. Nein, nicht sie, die mir so nahe ist, schluchzte etwas in mir. Sie blieb sich treu, löste sich aus den Reihen, und wir hielten einander an den Händen, schauten uns in die Augen. Danach schüttelten Michael und ich unzählig viele Hände, bestiegen schließlich ein Motorboot und setzten zum Schiff über. Die Simbang nahm Kurs auf Madang, die Menschen am Strand schwanden zu winzigen Punkten – und so endete einer der glücklichsten Abschnitte meines Lebens.