Austausch

Body: 

Lernprozesse beginnen von vorne

Schillernde Persönlichkeiten in Begesin

Beängstigender Bildungsmangel der Bewohner

XXX
Der Rasen, oder besser, die Grasfläche um das Haus, war wegen der Schlangen immer kurz zu halten. Hetta wies mich in die Bezahlung der Lastträger ein. Die vom Flugplatz zur Station getragene Fracht musste gewogen und dann in Absprache mit den Trägern in Naturalien entlohnt werden. Sie erklärte mir weiter, dass sie in Madang im Lutheran Supply House, einem missionseigenen Supermarkt, eine Standing Order, eine dauerhafte Bestellung hatte. Das bedeutete, dass alle zwei Wochen, wenn ein Flugzeug kam, die gleichen Lebensmittel geliefert wurden. Die Grundnahrungsmittel mussten dabei bedacht werden, die man in etwa zwei Wochen benötigte. Ich war heilfroh, eine so erfahrene Außenstationsfrau zur Seite zu haben. Zusammen stellten wir eine auf die Bedürfnisse unserer Familie abgestimmte Standing Order fertig. In der Regenzeit, wenn keine Landung möglich war, würde der Pilot uns sogar diese dauerhafte Bestellung auf dem Flugplatz, zusammen mit der Post, abwerfen.


Wir lernten, das Funkgerät, unsere einzige Kontaktmöglichkeit zur Außenwelt, zu bedienen. „Foxtrott Sierra“, das waren wir. Jede Station hatte ihren Code und zu bestimmten Zeiten konnten wir mit der Zentrale in Madang oder mit dem Missionskrankenhaus in Yagaum sprechen – immer in dem Bewusstsein, dass alle mithörten. Weiter gehörte zu unserem Lernprogramm, wie wir vor jeder Ankunft eines Flugzeugs dem Piloten einen Wetterbericht zu funken hatten. Da die Gras-Landepiste extrem kurz für eine Cessna war, musste der Pilot genau über die Feuchtigkeit des Grases, Windstärke und Windrichtung unterrichtet werden. Die Schweine des Dorfes Konogul, gleich neben der Grasflugpiste, waren unbedingt daran zu hindern, sich bei Landung und Start auf der Piste herumzutreiben. Dazu hatten wir je eine Reihe von Jungen aus dem Dorf entlang der Bahn Aufstellung nehmen zu lassen, die genau die Dorfschweine im Auge behielten.


Heiner führte Michael in die Arbeit eines Außenstations-Missionars ein und ich lernte von Hetta, welche Aufgaben einer Frau auf einer Missionsstation zukamen. Ziemlich bald wurde mir klar, welche Bedeutung die klassische Rollenverteilung hatte. Die Männer konnten ungehemmt – da beruflich von Nöten – ihrer Abenteuerlust frönen, während die Frauen den Alltag zu meistern hatten. Mit Letzterem konnte man zwar nicht so gut punkten, auch war es wesentlich langweiliger, aber die Nerven wurden ganz offensichtlich viel mehr beansprucht als beim Abenteuerleben. Sicher, nicht alle Außenstationspaare lebten diese Art der Rollenverteilung, aber genau die sah ich bereits auf mich zukommen. In meiner grenzenlosen Naivität fasste ich den festen Entschluss, mich diesem Schicksal nicht zu ergeben.


Wir lernten die Stationsleute kennen, also den einheimischen Pastor, die Lehrer und sonstige Stationsmitarbeiter mit ihren Familien. Butut, der Stationsmanager und seine Frau waren uns sofort sympathisch. Diese Frau wurde ansatzweise ein Gananui-Ersatz für mich, von der ich noch viel lernen sollte. Pastor Aisaip war ein gedrungener, stämmiger Mann und eine seltsam schillernde Persönlichkeit – etwas Charismatisches ging von ihm aus. Seine Frau, erkennbar keine gebildete Frau, hatte eine große Ausstrahlung von Wärme. Die Lehrer mit ihren jeweiligen Frauen dagegen hinterließen bei uns keinen tiefen Eindruck. Es schien uns eher so, als seien sie austauschbar. Tatsächlich wechselten sie auch häufig. Sie unterrichteten in Tok Pisin unter anderen Fächern auch Englisch. Als ich später ihr Englisch hörte, wurde ich an den Geschäftsmann auf der Simbang erinnert, der das Lehrprogramm der Bibelschulen bemängelt hatte. Zu dieser Zeit wurden die Schulen auf Missionsstationen noch Bibelschulen genannt. Erst auf einer Synode der evangelischen Kirche Papua Niuginis, ich glaube, es war 1973, wurden sie umbenannt in Tok Ples Skuls, also Schulen, die in der lokalen Sprache unterrichteten.

Alle Stationsleute begegneten uns mit großer Offenheit, und Amos schien von Anfang an der Liebling aller zu sein. Die Älteren unter ihnen hatten wohl schon öfter erlebt, wie eine Missionarsfamilie ging und eine neue kam und ich glaube, dass sie keiner von uns nachtrauerten. Es schien der Niugini-Mentalität zu entsprechen, die Gegebenheiten hinzunehmen, wie sie waren.


Von Hetta lernte ich, wie den Frauen Hygienestunden zu erteilen waren. Bei den einheimischen Frauen war keinerlei Grundwissen vorhanden über die Gefährlichkeit von Bakterien oder über die Vorbeugung von Erkrankungen durch Sauberkeit. Wenn ein Kind erkrankte, fanden sich die Frauen eben beim doktaboi ein – oder, im schlimmeren Fall, beim Zauberer. Immer wieder musste der Versuch unternommen werden, die Frauen von der Wichtigkeit der Hygienemaßnahmen zu überzeugen. Einmal „erwischte“ mich Hetta, wie ich Amos nach dem Mittagsschlaf seine vorne geschlossenen Sandalen anziehen wollte. Ein Griff, und sie hatte die Sandalen geschnappt. „Mach das nie wieder!“ rief sie erregt. „Du musst immer erst in sie reinschauen oder sie ausklopfen! Wenn dich ein Skorpion gestochen hat, wirst du oder dein Kind wünschen, lieber tot zu sein, als diese Schmerzen zu ertragen.“


Anfangs war ich basserstaunt, als junge Frau mit so viel Respekt behandelt zu werden. Aber Hetta erklärte mir, das sei hier so üblich. „Du hast ein Kind, noch dazu einen Sohn, und somit bist du Mama bilong Amos, die Mutter von Amos.“ Ältere Stationsleute sprachen Michael mit Brata, Bruder an, was den jungen Außenarbeitern nicht zustand, sie hatten ihn Papa zu nennen. Die Menschen hier im Busch hatten nicht die Leichtigkeit der Küstenleute von Biliau. Sie kamen mir schwerer, erdiger vor.