Rückfahrt

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Persönlichkeitsfindung

Schwerfälliges Lösen von zu Hause

Hilfreich oder nicht hilfreich – Keine Ahnung

Auf der Rückfahrt nach Lae schwammen Janna und ich in Tränen, wir konnten nicht begreifen, dass ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen sein sollte, für den wir noch nicht reif waren. In mir tauchten Bilder auf, wie ich Amos in Deutschland in den Kindergarten gebracht hatte, weil wir der Meinung waren, dies sei der richtige Schritt für seine Entwicklung. Das kleine Kerlchen gab sich größte Mühe, das auch so zu sehen, konnte sich aber nur schwer von zu Hause lösen, also blieb ich immer bei ihm, bis er mir signalisierte, dass ich gehen könne. Einmal hatte er mit einem um Hilfe flehenden Blick, dass mir mein Herz wehtat, gerufen: „Kannst gehen Mama!“, und mutig hinzugesetzt „also adé, Mama, adé!“.


Bei dem Gedanken, dass jetzt wieder ein mutig sein wollender Amos mit traurigen Augen in Onerunka stand, flossen schon wieder die Tränen. In Lae angekommen, versuchten wir, unter Schluchzen zu erzählen, wie es uns ergangen war. Marina, die noch ihre Kinder um sich geschart hatte, meinte: „Das habe ich mir schon gestern Abend gedacht, als du dich mit Amos halbtot gelacht hast, dass so etwas nicht die richtige Vorbereitung auf einen Abschied sein kann“. Fassungslos schaute ich sie an. Diese Bemerkung fand ich so absolut daneben, so kaltschnäuzig und absurd angesichts des Schmerzes, den ich hier versuchte, zum Ausdruck zu bringen, dass sie schon fast wieder hilfreich war, mich aus dem Kreis des Schmerzes zu lösen. Sie half, auch wenn sie nicht hilfreich gemeint war. Janna und ich hörten vor lauter Empörung auf, in unserem Meer von Tränen zu schwimmen. An diesem Abend saß ich, von den anderen abgesondert, meinen inneren Bildern nachhängend, in einem Sessel, und nahm Abschied von meinem Sohn. Bilder von Begesin tauchten in mir auf, Amos sagte „ist wie Papa auf Buschtrip, ich schlaf bei dir in Papas Bett“, in Deutschland lernte er wieder das „R“ sprechen. In seinem ersten Winter trampelte er auf den Handschuhen, die ich ihm anziehen wollte, wütend herum. Nach der Geburt von Janna fragte er mich, auf meinen Bauch deutend, „ist da noch ein Baby drin?“, um sich dann glücklich auf meinem Schoß einzukuscheln. Bei der erneuten Ankunft in Niugini erkannte er das Land wieder über Schmecken, Riechen und Tok Pisin – nach und nach konnte ich mein Kind loslassen in die Unabhängigkeit des Erwachsenwerdens. Mir war durchaus klar, dass diesen Prozess des Kinderloslassens in die Welt der Erwachsenen alle Eltern irgendwann durchlaufen müssen, dennoch erschien mir die frühzeitige Abnabelung, der wir uns, bewusst oder unbewusst, ausgesetzt hatten, als besonders schmerzhaft.

Zu Hause brauchte insbesondere Janna lange, um herauszufinden, wer sie ohne ihren Bruder war. Sie arbeitete an ihrer Selbstheilung, hörte Kassetten, schmuste mit ihrem Kater Alex, malte wunderschöne Bilder vom über Sinub aufgehenden Vollmond, lebte mit ihrer Freundin Alina in ihrer ureigensten Welt der Phantasie – dennoch, die Abwesenheit ihres Bruders hatte eine tiefe Lücke in ihr hinterlassen. Oft saßen wir beim Briefeschreiben zusammen und schauten einander nach einer Weile in die Augen, unsere Blicke sagten „Amos ist nicht da, er fehlt uns“. Endlich, an einem Abend, konnte ich die Trauer in mir zugeben und zulassen, und somit mein Töchterchen darin annehmen: wir verbrachten einen authentischen Abend, erinnerten uns an Erlebnisse mit Amos, gaben unser Heimweh nach Ostheim zu, hörten Kassetten von meinem Chor, weinten und weinten, bis alle Tränen geweint waren.


Am nächsten Tag waren wir nicht mehr die gleichen Menschen, wir hatten die Trauer mit den Tränen weggespült, wir waren offen für Neues. In der Höhe von Nagada hatte ein Resort Hotel eröffnet, wo auch Pferdereiten angeboten wurde. Michael und ich hatten besprochen, dass vielleicht Reiten Janna helfen könne, über den Verlust ihres Bruders hinwegzukommen. So machten wir uns am Nachmittag, nachdem Janna von der Schule zurückgekehrt war, auf den Weg zum Jais Aben Resort Hotel, damit sie sich die Pferde anschauen konnte. Pete, der junge Mann, der Reitunterricht erteilte, zuckte bedauernd die Schultern. Er sei gerade dabei, das Pferd zu verkaufen, es habe nicht genügend Nachfrage gegeben nach dem Reitangebot, meinte er. Ob wir es nicht kaufen wollten? Wir wollten auf keinen Fall, aber Janna sollte es sich wenigstens einmal anschauen. Wir liefen zusammen zur Weide, Janna schritt auf das Tier zu – es war, als hätte sie schon immer mit Pferden zu tun gehabt. Ohne Scheu ging sie an Pete`s Seite zu dem Pferd. „Er heißt Jim“, sagte Pete zu ihr, „du kannst ihn ruhig anfassen. Er mag Kinder“. Er gab ihr ein Stück Zuckerrohr, damit sie Jim füttern konnte. Zu uns gewandt meinte er lakonisch: „Scheint Liebe auf den ersten Blick zu sein. Er ist vier Jahre alt, ich würde euch einen guten Preis machen, ich lasse mit mir reden“. Michael und ich sahen fasziniert zu, mit welcher Selbstverständlichkeit Janna mit dem großen Pferd umging. Als dann auch noch der Preis von hundert Kina genannt wurde und Janna flehende Blicke zu uns sandte, konnten wir nicht widerstehen.