Geschichte

Body: 

Schwelgen in Erzählungen

Betreuen von Kindern im Hotel

Emotionsloses Verabschieden zwischen Mutter und Sohn

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Familie nach Australien deportiert und in einem Internierungslager untergebracht. Wie andere deutsche Missionarsfrauen hatte sich meine Schwiegermutter geweigert, das Hitlerbild aus dem Haus zu entfernen, auf dessen Veranda ich gerade saß. In Australien verlor sie eine Tochter durch einen Verkehrsunfall, später gebar sie Michael, den sie auf den Geburtstagstisch ihres Mannes legte. Mein Schwiegervater musste die Schiffstickets für die Rückreise seiner Familie selbst durch seine Arbeit als Zimmermann verdienen, da die Mission in der Nachkriegszeit nicht in der Lage war, die Schiffskarten zu bezahlen.


In Deutschland baute meine Schwiegermutter ihre verbliebenen vier Kinder zu einer Art Hausmacht gegen ihren Vater auf, die Kinder sollten ihren Vater ungehemmt kritisieren, machten sich unter der Anleitung ihrer Mutter über ihn lustig, wo nur irgend möglich. Michael meinte einmal, die Tränensäcke unter den Augen seines Vaters zeugten von vielen ungeweinten Tränen. Als ich in die Familie kam, hatte meine Schwiegermutter ihre zweite Tochter durch Krebs verloren, was sie in die Arme einer gesundbeterischen Sekte getrieben hatte, und sie las ständig in traktatähnlichen Büchern der Propheten dieser Sekte. In meiner Schwangerschaft mit Amos fühlte sie sich verpflichtet, uns zu schreiben, dass ständige „Nachzeugungen“ die Erbsünde in einem entstehenden Kind anlegten. Es ist Zeit, diesen seltsamen Ort der Erinnerungen zu verlassen, dachte ich, und stieg die Stufen der Veranda hinunter, um wieder zu meinem Sohn in der Gegenwart zu gehen.

Zwei Wochen betreute ich die Kinder des hostels, so gut es mir möglich war. Morgens buk ich nach amerikanischem Muster Pfannkuchen, die ich mit Ahornsirup servierte; während die Kinder in der Schule waren, erledigte ich die Hausarbeit und machte die Wäsche. Es war, als hätte ich eine große Familie zu versorgen. Die Abende verbrachte ich mit einer gesprächiger werdenden Wiebke, aber ihr Schweigen um das Thema, das sie wohl am meisten berührte, blieb. Oft dachte ich in den Wochen daran, was den Kirchenbossen in Lae vielleicht als neue Idee gekommen sein könnte, um mich hinzuhalten, fühlte aber tief in meinem Inneren eine gewisse Zuversicht, dass sich alles in die richtige Richtung fügen werde. Zu Ende der zwei Wochen verabschiedeten Amos und ich uns schmerzlos voneinander, wie zwei Kumpel, die eine gute Zeit miteinander verbracht hatten.