Pflichtgefühl
Schneckenplage
Der immer gleiche Ablauf
Verlorene Ursprünglichkeit und Lebendigkeit
Die Gottesdienste in Amron begannen mich zu langweilen. Die Liturgie wurde hier in Tok Pisin gepflegt, was wegen der aus allen Teilen des Landes kommenden Schüler und Studenten sicher sinnvoll war. Aber die Predigten in Begesin hatte ich sie als lebhaftes gemeinsames Nachdenken über einen Bibeltext erlebt empfand ich als stumpf und ermüdend. Die Ursprünglichkeit, die Freude am formulierenden Nachdenken, war einem dumpfen Sinnieren über Gesetzmäßigkeiten gewichen. Oft saß ich auf der harten Bank und dachte frustriert: oh ja, jetzt kommt wieder das übliche, altbekannte olesem na yumi mas, und deshalb müssen wir, die gängige Folgerung aus dem vorher Gesagten.
Irgendetwas war hier verlorengegangen. Urspünglichkeit und Lebendigkeit waren auf der Strecke geblieben vor lauter Gesetzen und eingefahrenen Regeln. Ich glaube nicht, dass dies an undurchdachten Lehrplänen lag. Es erinnerte mich eher an das alte Niugini-Verständnis von Kunst. Mir schien es, als wollten die Prediger strikt die von ihren Lehrern vorgegebenen Regeln befolgen, so wie Kunstgegenstände genau nach dem Muster der Ahnen zu fertigen waren. Aber, fragte ich Michael, dann haben sich die Lehrplangestalter vielleicht nicht genug in die Denkweise ihrer Schüler hineingedacht? Auch er war der Meinung, in Niugini müsse Wissen unter einer Einbeziehung des Bauches, in dem für die Einheimischen der Sitz der Gefühle liegt, vermittelt werden.
Am ehesten konnte ich mit Gatedais Predigten etwas anfangen, der noch die freie Art der Wortschöpfung kannte, nicht nachzudenken schien, ob er sich denn auch genau an die vorgegebenen Regeln halten sollte. Bald besuchte ich die Gottesdienste nur noch aus Pflichtgefühl, denn ich konnte ihnen nichts mehr abgewinnen.
Zu Ende der Regenzeit begann urplötzlich eine Schneckenplage, die sich über fast zwei Jahre hinzog. Eines Morgens brachte ich Janna und Amos zur Schule, als unter den Reifen unseres Autos auf dem Weg bergab ein ständiges Knacken zu hören war. Ich hielt an, wir stiegen aus, und ein unbeschreiblicher Anblick bot sich unseren Augen: wir hatten auf dem Weg hunderte von Schnecken überfahren, deren Gehäuse mit lauten Knacktönen unter den Autoreifen zerborsten waren. Von nun an sammelte ich morgens und abends auf den Rasenflächen um das Haus mindestens zwei Eimer der Schnecken ein, die von den Schülern der Landwirtschaftsschule abgeholt und an die Schweine verfüttert wurden. Schon nach wenigen Tagen zog die Schneckenplage eine andere Naturerscheinung nach sich: die tarangaus, eine bussardähnliche Raubvogelart, hatten eine neue Nahrungsquelle entdeckt, und pickten die zerknackten Schnecken von der Straße. Es dauerte lange, bis sie endlich im Schneckentempo die Nordküste hochwanderten und wir von diesem Spuk befreit waren.
In Amron wohnte in einem kleinen Haus neben den einheimischen Lehrern Irene, eine amerikanische Lehrerin an der Realschule. Sie hatte eine engelsgleiche Singstimme, und oft war aus ihrem Haus zu hören, wie sie zu ihrem Harmonium amerikanische Volksweisen sang. Als ich sie nach einem der faden Gottesdienste auf ihr Singen hin ansprach, erzählte sie, dass sie unsere Lieder zu Michaels Gitarrenbegleitung genauso genieße. Dabei berichtete sie auch von einer Familie in Madang, die für ganz in die USA zurückkehren würden. Sie seien gerade dabei, ihre Sachen zu verkaufen, darunter auch ein Klavier, ob das nichts für Janna sei
Als sie auch noch zusagte, Janna im Falle eines Kaufes Unterricht zu erteilen, gab es für uns kein Halten mehr. Gleich am Montag fuhr Michael nach dem Unterricht mit Gatedai und einigen Studenten in die Stadt, um das Klavier zu holen. Als die Kinder von der Schule kamen, führten wir Janna feierlich zu ihrem Klavier im großen Flur. Wir hatten es schon an der Steckdose angeschlossen, da die Saiten stets beheizt werden mussten, um in der Luftfeuchtigkeit nicht zu rosten. Überglücklich setzte sie sich gleich an ihr Klavier und lernte von da an unter Irenes sanfter Anleitung, es zu spielen.
Das beheizte Klavier ...
ging letzlich in Flammen auf, die Saiten zersprangen mit lautem Pingping. Warum? Der fromme Schösslingausbuddler, s.S. 211, hatte es bei unserer Abreise erstehen wollen, pokerte dann aber wegen des Preises derartig rum, dass Michael der Film riss, so dass er zwischen unserem und dem Haus des Nachbarn eine Woody-Allen-Show zelebrierte und das gute Stück in Brand steckte.