Überfahrt
Fremde Sitten in Begesin
Ausgrenzungen
Schiffsüberfahrt in den Südseetraum
Wir standen am Abend im Hafen von Lae und schauten zu, wie unsere längst hier eingetroffenen Überseetonnen auf die Simbang verladen wurden. Nach monatelangen Vorbereitungen brannten wir darauf, endlich das wirkliche Leben in Niugini kennenzulernen. Die Simbang war von der Form her so etwas wie eine große Nussschale. Je mehr Ladung sie aufnahm, desto tiefer tauchte sie ins Meer.
Es war Zeit, Abschied zu nehmen, wieder einmal. Zutiefst dankbar verabschiedeten wir uns von den beiden Menschen, die uns einige Wochen in diesem fremden Land begleitet hatten. Viel hatten wir von ihnen gelernt; nun war es an der Zeit, das Gelernte umzusetzen und eigene Erfahrungen zu sammeln. Die beiden geleiteten uns noch auf das Schiff. Während der Nacht würden wir segeln, um bei Sonnenaufgang in Biliau anzukommen. Beim Abschied streichelte uns eine sanfte Seebrise, die mir wie eine Verheißung erschien. Tante Berta nahm Amos noch einmal auf den Arm, drückte ihn kurz und meinte: Dich werde ich noch ein Stück begleiten. Beim Anblick der beiden von Bord gehenden Gestalten beschlich mich ein Hauch von Wehmut. Aber dann begab ich mich entschlossen mit Amos auf dem Arm zu der uns zugewiesenen Kabine. Die Simbang war ein Schiff, das Lutheran Shipping, und somit der Missionsgesellschaft, gehörte. Frauen und Männer wurden in getrennten Kabinen untergebracht.
Beim Abendessen saßen wir zusammen mit anderen Passagieren alles Weiße am Kapitänstisch. Die einheimischen Passagiere hatten sich längst auf dem überdachten Oberdeck ausgebreitet. Sie hatten Bastmatten ausgerollt, teilten mitgebrachtes Essen und die allgegenwärtigen Betelnüsse miteinander. Als ich nach oben gegangen war, um nachzusehen, wie die eigentlichen Bewohner dieser Insel reisten, hatte ich etwas befremdete Blicke geerntet und mich wie ein Fremdkörper gefühlt. Nicht unfreundliche Blicke, aber doch solche, die mir aufzeigten, dass die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß längst vor meiner Zeit gezogen worden waren. Geh du weiße Missis mal schön dahin, wo du hingehörst, besagten sie.
Während des Essens liefen die wohl üblichen Gespräche unter Weißen. Der Kapitän berichtete, wie er einmal eine Ladung Kühe von Lae nach Finschhafen verschifft hatte. Die Besatzung hatte kurz vor der Küste jeweils zu viert eine Kuh gepackt, über die Reling gehoben und ins Wasser geworfen. Jede Kuh bewegte sich schwimmend auf den Strand zu, wobei sie sich über den After mit Wasser füllte. Mit Ach und Krach schafften es die Kühe mit immer tiefer hängendem Heck, den Strand zu erreichen.
Ein Geschäftsmann aus Lae hielt es für erzählenswert, was er gestern in seinem Laden mit einem Eingeborenen erlebt hatte. Wollte der doch glatt seinen Sohn bei ihm als Verkäufer unterbringen, der gerade mal die sechste Klasse einer Bibelschule geschafft hatte! Man wusste schließlich, was die dort lernten.
Vermittelnd erzählte ein Missionar, wie er es verstanden hatte, einen Vater zu überzeugen, dass seine Tochter die Schule besuchen durfte. Eigentlich hielt dieser Vater einen Schulbesuch und schon gar den eines Mädchens für völlig unnötig. Aber der Missionar hatte ihm aufgezeigt, wie viel höher der Brautpreis für das Mädchen steigen könnte, wenn die Tochter einen Schulabschluss hatte.
Nach dem Abendessen suchte ich ergrimmt mit Amos unsere Kabine auf. Würde ich dem wirklichen Niugini-Leben denn nie näherrücken? Amos schien zu spüren, dass ein neuer Lebensabschnitt vor uns lag. Anstatt wie in Lae den Kopf von mir wegzudrehen, machte er die Nacht zum Tage. Er wollte mit mir spielen, plapperte unaufhörlich Laute vor sich hin, die mal deutsch, mal wie Tok Pisin klangen. Die Tür zu unserer Kabine öffnete sich und eine Frau mit einem streng wirkenden Haarknoten trat ein. Ich hatte sie beim Abendessen am Tisch des Kapitäns kennengelernt. Sie stellte sich noch einmal vor, und erst jetzt wurde mir klar, mit wem ich es zu tun hatte. Sie war Greta Mohnert, eine Missionarsfrau aus dem Gebiet um Sattelberg und Finschhafen, und sie wäre beinahe meine Mutter, nein, meine Schwiegermutter, nein, gar nichts dergleichen geworden! Welch ein Gedankenchaos spukte da nur durch meinen Kopf, höchste Zeit, zu versuchen, meine Gedanken in Ordnung zu bringen.
Amos war völlig überdreht; er legte sich zum Schlafen nieder, um unvermittelt wieder umherzuhüpfen an Schlaf war nicht zu denken. Dieses Kind hielt uns die Nacht über bis fast zum Morgengrauen in Atem, die gar nicht so fremde Missionarsfrau und mich. Meine Gedanken schlugen Saltos! Ich versuchte Ordnung zu schaffen. Greta Mohnert war also Missionarsfrau, das war Fakt. Fakt war auch das wusste ich aus Erzählungen von früher dass sie mit Michaels Mutter vor grauen Zeiten nach Neuguinea ausgereist war, um zu heiraten.
Nun mal langsam
Mein Schwiegervater war als Student am Missionsseminar von Chistoph Koenig unterrichtet worden, sozusagen meinem Schwiegergroßvater. Nach seinem Abschlussexamen hielt mein Schwiegervater bei seinem Lehrer um die Hand einer seiner Töchter an. Seine künftige Schwiegermutter bedeutete ihrer Tochter, den solle sie ruhig nehmen, der habe ein gutes Examen gemacht. Diese Frau muss überaus streng und hart gewesen sein. Sie hatte das Leben ihres Mannes auf dem Sattelberg geteilt und ihm dort in den 21 Jahren drei Töchter geboren.
Drei Mädchen wie kann ich diese drei Frauen beschreiben? Während ich selbst jung und lebensfroh war, lernte ich diese drei Töchter Chistoph Koenigs als seltsam harsche Frauen kennen. Freudlos und emotional gebremst kamen sie mir vor. Frauen, die nie die Leichtigkeit des Seins erfahren hatten. Ihr am Missionsseminar lehrender Vater hatte ihnen offensichtlich einiges an Demut abverlangt, ebenso wie ihre Mutter.