Goldenes Viertel

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Sehenswert im Quadrat d´Or

»Perlen« der Jugendstilarchitektur

Das »Goldene Viereck« ist eine, für die große Jugendstilausstellung 1990 erfundene, treffende Bezeichnung für den zentralen und nobelsten Teil der »Eixample«-Stadterweiterung, die 1860 entlang des »Passeig de Grácia«, seiner Mittelachse, begonnen wurde. Auf der von »Diagonal«, »Aribau«, »Pg. St. Joan« und den »Rondes« begrenzten Fläche dieses wahren Architekturfreilichtmuseums konzentrieren sich die besten Beispiele der Jugendstilarchitektur. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts lebte Barcelona hinter seinen Mauern zurückgezogen, da fortwährende Kriege und Belagerungen das Land zwischen »Plaça Catalunya« und den Collserola-Bergen unbewohnbar machten. Diese Gegend an der alten Straße nach »Gràcia«, damals noch ein Dorf, wurde von den Barcelonesen seit Beginn des 19. Jh. zunehmend als Freizeitpromenade benutzt, und es standen dort außer einigen Klöstern nur ein oder zwei primitive Vergnügungsparks. Als aber die alte Stadt hinter den Mauern aufgrund zu hoher Einwohnerdichte und hygienischer Probleme allmählich unbewohnbar wurde, wie es Eduardo Mendoza in seinem Roman »Die Stadt der Wunder« humorvoll beschrieb, wurde eine Erweiterung der Stadt unvermeidlich.

Diese wurde nach den revolutionären Plänen des Ingenieurs Ildefons Cerdá und nach Abriß der Mauern im Jahre 1860 in der Gegend des heutigen »Passeig de Grácia« in Angriff genommen. Und da die ersten Familien, die den alten Stadtkern verließen oder schon teilweise Villen außerhalb Barcelonas besaßen, zur vermögenden Oberschicht zählten, ließen sie die besten Architekten erstmal prächtige und prestigeträchtige Wohnhäuser auf dieser neuen, weiten Baufläche errichten. In jenen Jahren existierte ein neues, durch Spekulation, den Amerikahandel und Industrialisierung – worin Katalonien in Spanien eine Vorreiterposition einnahm – zu gewaltigen Reichtümern gekommenes Bürgertum, das seine Stellung eindruckvoll zu untermauern wünschte und unbedingt den neu erworbenen Reichtum zur Schau stellen mußte. Deshalb ließen diese Auftraggeber der Kreativität ihrer Architekten freien Lauf, da sie sich als eine, das emporkommende Barcelona vertretende, neue Machtgruppe mit dem neuen Stil des »Modernisme« von der alteingesessenen Großbourgeoisie und Aristokratie abheben wollten. Der katalanische Jugendstil ist also im wesentlichen ein dekorativer Stil der Neureichen, obgleich auch zuzugeben ist, dass selten in der Geschichte der angewandten Künste den Schaffenden von Seiten der Mäzene ein so hohes Maß an Freiheit gewährt wurde wie in den Jahren des Jugendstils.

Architekten, Maler, Holzschnitzer, Goldschmiede und andere Künstler erbrachten ihr Bestes und waren nunmehr keine sozialen Außenseiter mehr, die mittellos an ihrem Beruf fast zugrunde gehen mußten, sondern zählten als geachtete Kunstschaffende zu den Kreisen der neuen Finanzaristokratie. Auf diese Weise entstanden all die heutigen »Perlen« der Jugendstilarchitektur, die um den »Passeig de Gràcia« herum, in den ersten bebauten Zonen der neuen »Eixample«, Leitfaden unseres Rundgangs sein werden. Diese Gegend sollte mit der Stadterweiterung in den Jahren der Jahrhundertwende – nach dem »Carrer Ample«, am Meeresende der Altstadt, und nach dem »carrer Ferran«, in ihrem Herzen – neuer bürgerlicher Mittelpunkt der Stadt werden. Der »Passeig de Gràcia« entwickelte sich zur neuen Prachtstraße und wurde entsprechend angelegt. Genauso wie wir im gotischen Viertel die Reste einer Blütezeit der barcelonesischen Stadtkultur besichtigen können, so werden wir hier Zeugen einer neuen Glanzzeit, die ungefähr von 1888, Jahr der ersten Weltausstellung, bis 1929, als die zweite stattfand, reicht, und die sich bis zum Olympia-Barcelona-Boom nicht wiederholen würde.

Unser Rundgang nimmt erneut beim Tor zu den »Ramblas«, dem »Café Zürich«, seinen Anfang. Eine Etage tiefer beginnt die »Avinguda de la Llum«, die Allee des Lichts, eine unterirdische Prachtstraße von 1928 aus der Zeit des großen Elektrifizierungsfiebers, das auch die Weltausstellung von 1929 prägte. Damals, als Tag und Nacht künstlich beleuchtete Einkaufsstraße, war sie ein grandioses Symbol des Fortschritts. Doch leider sind kürzlich beide Enden dieser Straße zugemauert worden, da sie zu einem feuchten und ungesunden Ort, voller modriger Luft, heruntergekommenen war, nur noch Clochards anzog oder als Kulisse für dekadente Fotosessions oder Modereportagen diente. Als einzigartige Einkaufspromenade und Vorläufer heutiger Geschäftspassagen ist sie erstmal spurlos verschwunden. Schade, denn sie war ein wertvoller historischer Überrest der zwanziger Jahre und stiller Zeuge des blinden Glaubens an den grenzenlosen technischen Fortschritt.

Doch zurück in unsere heutige Welt. Wir richten uns jetzt nach Norden und gelangen am Kino entlang bis zur Ecke mit »Vergara«. Vom »carrer Vergara«, an dem früher traditionsreiche Cafés und das erste Kinotheater der Stadt lagen, marschieren wir zur »Plaça Catalunya«. Dieser Platz war bis zu Beginn unseres Jahrhunderts eine bloße offene Fläche vor der Stadtmauer. Mit der »Eixample« wurde er zum Angelpunkt zwischen der alten und neuen Stadt und entsprechend ausgebaut.

Um den Platz herum und auch in seiner Mitte wurden Kaffeehäuser und Theater angelegt. Das »Café Zürich« stammt zwar nicht aus jenen Tagen, aber es kann uns noch ein annäherndes Bild jener Zeiten vermitteln. Die Nordseite nahm bis zu den zwanziger Jahren ein eindrucksvolles Jugendstilhotel mit dem berühmten »Café Colón« ein, viele Jahre hindurch beste Unterkunft der Stadt. Bei der »Plaça Catalunya« beginnt der »Passeig de Gràcia«, den wir auf der linken Seite hinaufgehen. Diesen ersten Abschnitt bestimmt die typische »Fin de siécle-Architektur« neugotischer Gebäude. Auf dieser breiten Promenade sind auch die Eisenlaternen im Jugendstil mit dazu passenden Bänken sowie das von Antoni Gaudí entworfene Paviment zu bewundern. Wenn wir bei »Diputació« vom »Passeig de Gràcia« rechts abbiegen und dann an der nächsten Ecke nochmal nach links, stehen wir plötzlich auf halber Höhe des Blocks vor einer kleinen Passage, die eine der schönsten Häusergruppen Barcelonas enthält.