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Barcelona: Legende und Wirklichkeit

Die Entstehung einer Stadt

Vergangenheit und Gegenwart

Barcelonas Entstehung wird halb mythologisch, halb als Legende, als Gründung des im Mittelmeerraum umherirrenden Herkules erklärt, der am Fuße des » Montjuïc « angelegt und dort eine erste Siedlung gegründet haben soll. Tatsächlich war dieser Berg ungefähr im 7. Jh. v.chr. Standort des ersten Iberer -Dorfes der künftigen Barcelona-Ebene. Auch der karthagische Feldherr Hamilkar Barca wird als Gründer der ersten iberischen Siedlung » Laye « genannt. Doch erst durch die Zusammenkunft von Phöniziern, Griechen und schließlich den Römern entstand hier auf einer kleinen Anhöhe eine erste militärische Festung, Keimzelle der Stadt über die Jahrhunderte. Hauptstadt der Marca Hispanica , der römischen Spanien-Provinz, war zwar » Tarraco «, das heutige Tarragona , doch das damalige » Barcino « behauptete sich bald als wichtiger Handelsposten, der eine strategische Stelle am Schnittpunkt diverser Kontinental- und Seerouten einnahm.

Bald aber sollte sich das Schicksal der Stadt ändern. Aus dem Süden fielen im frühen 7. Jh. nach dem Zerfall des weströmischen Reiches die Araber über die Iberische Halbinsel her und drangen bis nach Frankreich vor, bis sie von Charles Martell bei Poitiers geschlagen wurden. Dies bedeutete für Barcelona eine kurze Besatzungszeit, in der mehrere Kirchen abgebrannt, aber auch, gemäß der Philosophie der Araber , viele technische Neuheiten eingeführt wurden. Im Mittelalter zur Grafschaft erhoben, erlebte Barcelona seine erste Blütezeit. Im Jahre 1137 vereinigten sich die Königreiche Katalonien und Aragonien , wodurch Barcelona zum neuen Machtzentrum im östlichen Mittelmeerraum aufstieg. Es erhielt den Stadtregierungsrat »Consell de Cent«, eines der ersten Parlamente Europas, erweiterte seine Handelsrouten im Mittelmeergebiet und mauserte sich allmählich zu einer militärischen Macht, die auf ihrem Höhepunkt unter König Jaume I . fast das ganze Mittelmeer beherrschte und Besitzungen in Übersee bis nach Griechenland und dem heutigen Tunesien unterhielt.

Aus dieser Zeit stammen die gotischen Prachtbauten im Viertel der Kathedrale und in der Gegend der Straße » Montcada «. Barcelona zeichnete sich in jenen Jahren durch eine von den Grafen von Barcelona durchgesetzten, relativ gerechten Sozialordnung aus, die sich in einer verfaßten Ständeversammlung und neuen, in ganz Europa einzigartigen, Institutionen zeigte. Hier wurde auch unter anderem schon im 15. Jh. die Leibeigenschaft abgeschafft, wozu es im restlichen Spanien und in Europa weiterer drei Jahrhunderte bedurfte, in Amerika sogar vier. Aus dem frühen Mittelalter stammt auch die erste schriftliche Überlieferung in katalanischer Sprache. Es handelt sich um die Gedichte und wissenschaftlichen Texte des Mystikers Ramón Llull .

In den folgenden Jahrhunderten geriet Katalonien , unter dem Herrschaftsanspruch Kastiliens , in große Abhängigkeit und Untertänigkeit zum Königreich Kastilien , das nun Aragonien-Katalonien mit übernahm und die ganze Iberische Halbinsel beherrschte. Hier begann möglicherweise der bis heute fortdauernde Zwist zwischen dem zentralistischen Kastilien und dem nach Unabhängigkeit strebenden Katalonien , dessen Institutionen und Rechte in dieser Zeit erstmals abgeschafft wurden.

Hinzu kam in diesen Jahren auch noch die Entdeckung Amerikas durch Kolumbus , der nach seiner Rückkehr zwar von den Katholischen Königen in Barcelona groß empfangen und geehrt wurde, dessen Entdeckungsreise aber den Katalanen nichts Positives einbrachte. Im Gegenteil, Barcelona und Katalonien wurden systematisch vom aufblühenden Handel – und der Ausplünderung – mit den reichen Überseekolonien ausgeschlossen. Doch wie schon bekannt, führte der aus Amerika herangeschaffte grenzenlose Reichtum durch die auf Ausbeutung fremder Ressourcen eingerichtete unproduktive Wirtschaft der Kastilier innerhalb von einigen Jahrhunderten unter Verlust der Kolonien zum allmählichen Niedergang des einst großen spanischen Reiches. Katalonien ging zusammen mit dem kastilischen Königreich zugrunde, das wie seine vor den Küsten Englands versunkene » Unbesiegbare Armada « ein schnelles Ende fand. Spanien hatte sich in ein Land arbeitsunfähiger, ruinierter Aristokraten, Heerscharen unnützer Nonnen und Mönche und gefährlicher Räuber und Wegelagerer verwandelt. Die kastilische Krone wurde durch Hochzeit mit der französischen Bourbonen -Dynastie verbunden, und Katalonien verstrickte sich schließlich verhängnisvollerweise in den Erbfolgekrieg zwischen Bourbonen und Habsburgern auf Seiten der letzteren, die für ein den katalanischen Interessen nahestehendes föderatives Staatsgebilde standen.

Als dieser Krieg zugunsten des bourbonischen Königshauses ausfiel, vergalt Philipp V. den Katalanen ihre Unterstützung des politischen Gegners damit, dass er die wenigen noch erhaltenen Vorrechte sowie die Universität abschaffte, die katalanische Sprache verbot und in Barcelona, auf einem dem Boden gleichgemachten Teil der Stadt, eine unheimliche Besatzungszitadelle errichten ließ. Ihr Gelände nimmt heute der » Parc de la Ciutadella « ein. Erst unter Karl III. im späten 18. Jh. konnte Katalonien langsam wieder aufatmen, als ihm einige seiner Privilegien wiederverliehen wurden, darunter das Recht, mit Amerika zu handeln. Damit belebte sich teilweise die lange lahmgelegte Wirtschaft. Dies wurde die große Zeit der Kuba -Auswanderer, die auf der Zuckerinsel schnellem Reichtum nachjagten.

Katalonien wurde zu dieser Zeit mit der 1714 in Betrieb genommenen ersten Fabrik auch zur ersten, und quasi bis in die fünfziger und sechziger Jahre unseres Jahrhunderts, auch einzigen industriellen Region Spaniens neben dem Baskenland . Textil- Druck- und Papierindustrien erzeugten in Barcelona ersten bürgerlichen Reichtum. Weitere Folge dieses Industrieaufbaus war die Arbeiterbewegung, die zu dieser Zeit unter der Leitung radikaler Anarchistenführer und Gewerkschaftler in Barcelona zu wüten begann. Die Stadt wurde in der turbulenten Zeit der Jahrhundertwende, die auch die große Glanzzeit des von der Großbourgeoisie als eigenem Erkennungsstil angenommenen Jugendstils war, als »Stadt der Bomben« bekannt. Dies besonders nach dem blutigen Anarchisten-Anschlag in der » Liceu «-Oper.

Die ersten Jahrzente unseres Jahrhunderts waren eine unstabile, radikale Zeit, zu der sich Anarchisten , Kommunisten , Sozialisten, Faschisten und Monarchisten gegenseitig auf den Straßen umbrachten und Militärdiktaturen und Monarchien einander ablösten, bis im Jahre 1931 schließlich nach einem Wahlsieg der Linken die erste Republik ausgerufen wurde. In den fünf Lebensjahren der Republik wurden zwar wichtige soziale Fortschritte erzielt, doch die politische Lage konnte sich nicht festigen. Die dem Börsenkrach 1929 folgende Weltwirtschaftskrise ließ auch Spanien und Katalonien nicht unberührt, und die auch in Deutschland und Italien erkennbare Radikalisierung der politischen Lager vollzog sich ebenso hierzulande. Barcelona versank in jenen Jahren in einem wahren Blutbad politischer Morde und Repressalien.

Doch zur selben Zeit erlebte die Stadt das fortschrittliche Experiment der Republik, in der viele gesellschaftsverändernde Ideale Verwirklichung fanden und sich jeder am Aufbau dieser neuen Gesellschaft beteiligen durfte. Natürlich waren diese Veränderungen vielen ein Dorn im Auge, und es dauerte auch nicht lange bis zur Erhebung der Militärs unter dem ehrgeizigen General Franco . Er hatte in Afrika Karriere gemacht und es mit nur 32 Jahren zu diesem hohen Dienstgrad gebracht. Der Bürgerkrieg war ein blutiges Schauspiel, in dem sich oft auf tragische Weise Einwohner eines selben Ortes oder manchmal sogar Mitglieder ein und derselben Familie mit den Waffen gegenüberstanden.

Spanien war geteilt in ein nationalistisches und ein republikanisches Lager. Barcelona zählte bis ans Ende des Krieges zum zweiten und wurde dafür auch einige Male von der deutschen Legion Condor mit den neuen Junkers -Maschinen bombardiert. Ein kleiner Test in Hinsicht auf den bevorstehenden Weltkrieg. Dem Ende des Krieges folgte das bekannte Experiment der durch Franco verhängten Autarkie, während der Spanien in völlige internationale Isolierung geriet. Barcelona wurde wieder für sein Engagement auf dem Felde des Gegners bestraft, und die katalanische Kultur völlig unterdrückt bzw. verboten.

Der Tod des Diktators im Jahre 1975 wurde hier wie eine Nationalfeier zelebriert, und es kam zu einem späten Ausbruch der lange angestauten Lebenslust der jüngeren Generationen, der mit der in anderen Ländern schon ausklingenden `68-Hippiebewegung zusammentraf und eine überschäumende Lebensfreude und kulturelle Blüte auslöste, die fast zehn Jahre später in die bekannte »Movida« und die postmodernen Zeitgeist-Tendenzen mündete, die Spanien kulturell wieder ins internationale Rampenlicht rücken sollten. Auf anderer Ebene ermöglichte die auf Francos Tod folgende Öffnung zur internationalen Ländergemeinschaft den wirtschaftlichen Aufschwung, den Spanien in den Achtzigern durchlebte, und den darauf aufbauenden EG-Beitritt, bei der die sozialistischen Machthaber stark bemüht sind, die während der vierzig Jahre Diktatur verlorene internationale Präsenz und diplomatische Beteiligung am Weltgeschehen wieder aufzuholen.