Sepiksiedlung

Body: 

Gäste in Amron

Absehbare Situationsveränderung

In illegalen Siedlungen gibt es nichts

Auf Jochen wurden aus der Sepiksiedlung kurz später im Vorbeifahren Steine geworfen, Roswitha traute sich nicht mehr, in die Stadt zu fahren. Von Seiten der Kirchenleitung wurden Abgeordnete der katholischen Kirche eingeschaltet, die im Sepikgebiet die einflussreichste Kirche war. Sie führten lange Gespräche mit der Sippe, die nicht bereit war, von ihrer Kompensationsforderung auch nur das kleinste Stückchen abzurücken. Roswitha und Jochen reisten für ein paar Wochen ins Hochland in der Hoffnung, es werde Gras über die Sache wachsen. Sie tauschten ihren gelben Geländewagen gegen ein anderes Auto – kaum waren sie zurück, hatten die Sepiks schon herausgefunden, welches Auto ihnen jetzt gehörte, und wieder wurden auf Jochen im Vorbeifahren Steine geworfen.


Als absehbar war, dass sich die Situation eher zuspitzen als beruhigen werde, riet die Leitung der Lutherischen Kirche der Familie, das Land möglichst umgehend zu verlassen. Sie fingen an, ihre Überseetonnen zu packen, aber offensichtlich wurde ihr Haus von den Sepiks überwacht, denn eines Abends flog durch das Fliegengitter des Fensters ein mit einem Zettel verschnürter Stein. Auf dem Zettel stand: „Wir werden euch killen. Ihr denkt, ihr könnt uns entkommen, aber wenn ihr nicht zahlt, seid ihr bald tot.“ Wir überlegten, ob wir zur Polizei gehen sollten, aber eigentlich war uns von vornherein klar, dass das sinnlos war, denn die Sepiks hatten dort zu viele wantoks.

Roswitha und Jochen gingen dazu über, tagsüber zu packen, sobald es dunkel wurde und man Licht hätte anmachen müssen, kamen sie zu uns. So schliefen sie in den letzten Wochen ihres Niuginidaseins bei uns in Amron. Trotz aller Ängste verlebten wir zusammen schöne Abende, und ich frage mich erst heute, wo wir den Mut hernahmen, wie wir es schafften, auch noch miteinander fröhlich zu sein.


Für den Abflug brachten wir die Familie im Konvoi mit mehreren Autos zum Flughafen, und, als sie abflogen, waren wir trotz aller Trauer über die Abreise unserer Freunde doch auch mächtig erleichtert, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren. Danach war es vorbei, die Unbeschwertheit, die Leichtigkeit – sie hatten uns verlassen, genau wie unsere langjährigen Freunde.


Ich ging auch weiterhin bei Wasserbüffel-David und den „Hühnern“ arbeiten. Täglich holte ich meine Kollegin Margaret am Straßenrand neben der Sepiksiedlung ab, so dass wir zusammen zur Arbeit fuhren. Immer wieder staunte ich, wie sie es schaffte, aus dieser Siedlung, in der die Menschen unter einfachen Bedingungen lebten, adrett gekleidet in unser Auto zu steigen. Da es sich bei dem Squatter um eine illegale Siedlung handelte, deren Bildung die Regierung eigentlich verhindern wollte, gab es dort noch nicht einmal Strom, obwohl sie zwischen Madang und Amron lag. Margaret sprach ein Tok Pisin, das mir etwas verwildert vorkam, aber, obwohl sie sich ihre Ausbildung sicher hart hatte erkämpfen müssen, zog sie es vor, mir nicht ihre Englischkenntnisse unter Beweis zu stellen, sondern wir redeten in Tok Pisin miteinander. Als ich sie während des Dramas um Roswitha und Jochen um ihre Meinung gefragt hatte, war ihre Auskunft eher spöttischer Natur gewesen: „Die sind doch alle longlong, dumm, verrückt!“, hatte sie gemeint, „die leben immer noch im Sepik mit ihren tumbuna, Ahnen! Was glaubst du, wie viele Männer im Squatter ihre Frauen verdreschen? Und die meinen auch noch, das gehörte sich so!“