Probleme
Verwilderter Sohn
Mein kleiner Feind, der Zauberer
Unlösbare Probleme, schwierige Hilfe für Kranke
Wie immer hatte ich viel Penicillin in Öl zu spritzen. In den 1970er Jahren wurde damit vor allem in den Tropen noch ziemlich unreflektiert und freizügig umgegangen. Ein paar Fälle von Malaria, bei denen es galt, die richtige Dosis Chloroquin zu verabreichen und noch einige Wundbehandlungen das Übliche. Dann, als Letzter, kam Meister Orkap herein, mein guter Feind. Ich wollte mir meine Unsicherheit nicht anmerken lassen; irgendein dunkles Gefühl bedeutete mir, dass man diesem Mann gegenüber keine Schwäche zeigen sollte. Was ist dein Problem? fragte ich in Pidgin. Wie stets war er im Lendenschurz gekommen, ein mittelgroßer, muskulöser und irgendwie furchtgebietender Mann, aber das gestattete ich mir nur im Geheimen zu empfinden. Ein laplap, ein um die Hüften geschlungenes halblanges Tuch, war zu dieser Zeit die übliche Bekleidung für Frauen und Männer. Orkap hatte ich immer nur im Lendenschurz gesehen. Er zeigte mir ein schönes, taubeneigroßes buk am Hinterteil, eine Eiterbeule, die in den Tropen häufig vorkommt und lachte kehlig. Mi no inap long sindaun gut na mi kam, meinte er, ich kann nicht gut sitzen, deshalb bin ich gekommen. Ein Ansatz von Verstehen stieg in mir auf. Natürlich, mit so etwas Normalem konnte man sich gut in die Reihen der Kranken setzen und dabei seine ganz eigenen Auskundschaftungen anstellen!
Er war auf eine Penicillininjektion aus, das war mir klar, aus welchem Grund auch immer. Aber, feixte ich innerlich, die war nicht nötig. Also schmierte ich schwarze Zugsalbe auf sein buk, legte Gaze darüber und verklebte das Ganze mit Pflaster. Em tasol? nogat sut?, das ist alles? keine Spritze?, fragte der Meister etwas enttäuscht. Ich erklärte ihm, das müssten wir nur ein paar Tage wiederholen, dann sei er die Eiterbeule los und könne wieder sitzen. Wir trennten uns als die altbekannten Freundfeinde, die wir waren.
Es war kurz nach zwölf Uhr. Ich dehnte mich in der Krankenstation, und marschierte dann mit meinem Topf voller Spritzen zur Küche zum Mittagessenkochen. Spaghetti mit Tomatensauce waren geplant, die sogar Amos mögen würde. Dieses Kind verbuschte zusehends. Allzu häufig war es in letzter Zeit vorgekommen, dass ich ihn zum Essen rief und er antwortete: Mag nicht euer deutsches Essen, bleib bei Yagamar und Sisies! Trockener Reis mit Dosenfisch, über dem Feuer geröstete Maiskolben und Brotfrucht oder gebackene kaukau, Süßkartoffeln, waren ihm lieber. Ich schritt die Stufen hinunter und hielt Ausschau nach Amos beim Waschhaus sicher war der kleine Racker dabei, mit den Mädchen heftig in Pidgin oder in der Begesinsprache, die sie ihm beibrachten, zu palavern.
Mama, yu wet!, warte, hörte ich von hinten rufen. Eine Gruppe Menschen mit einer Tragbahre näherte sich. Zwei Männer und zwei Frauen trugen eine aus Bambusrohren und Flechtmaterial gefertigte Tragbahre auf mich zu. Im Näherkommen erkannte ich eine Frau und ein an ihren Bauch gelehntes Baby auf der Trage.
Sie setzten sichtlich erschöpft die Trage vor mir auf dem Rasen ab. Gestern Mittag waren sie aufgebrochen und bis zum Einbruch der Dunkelheit gegangen. Sie hatten in einer Buschhütte in einem Garten übernachtet, und vom Morgengrauen bis jetzt bis Begesin gebraucht. Jetzt waren sie da. Pikinini asde indai pinis, das Kind ist gestern gestorben. Krankheit, Zauber? Sie wussten es nicht. Aber die Nachgeburt war noch nicht gekommen, und das war doch nicht in Ordnung, oder?
Ich schaute die erschöpft-graue Frau auf der Bahre an. Schwarze können bei Krankheit so grau aussehen! Ein trockenes Husten ließ ihren Körper erschauern. Das an ihren Bauch gelehnte Neugeborene bewegte sich dabei. Ein Schluchzen stieg in mir auf, es sah so lebendig aus. Das lebt doch! rief ich und legte meine Hand auf kalte, tote Haut. Jetzt konnte ich meinen Tränen nicht mehr Einhalt gebieten. Es sei auf dem Weg gestorben, sagten sie mir, ratlos-verständnisvoll angesichts meiner Trauer. Gestern hatte sie es gestillt, aber sie konnte ihm keine Kraft dabei geben.
Mein Hirn war wie verbarrikadiert; kein Gedanke, der mir sagte, was als nächstes zu tun sei. Darauf mussten sie mich, die wie eine Träumende dastand, erst bringen. Die Nachgeburt war noch nicht herausgekommen, ich würde doch wissen, was da zu tun sei? In mir war nur Leere. Ich schlug das Tuch zurück, mit dem die Frau zugedeckt war, und sah schockiert die ganze Nabelschnur entlang bis an die Scheide Ameisen, kleine schwarze wuselnde Ameisen. Mein erster Gedanke endlich überhaupt einer war: zum Glück keine von den großen, roten! Noch immer krochen meine Gedanken im Zeitlupentempo, ich fühlte tiefe Ratlosigkeit. Schließlich war ich keine gelernte Krankenschwester. Langsam tauchte eine Lösungsmöglichkeit in mir auf. Ich muss Euch bitten, noch bis zwei Uhr nachmittags zu warten. Erst dann kann ich über Funk jemanden im Missionshospital in Yagaum erreichen und fragen, was in diesem schwierigen Fall zu tun ist. Es tut mir Leid, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.
Ohne Nachfragen, ohne Zögern drehte sich die Gruppe um und zog in Richtung Baumschatten. Diese fatalistische Haltung habe ich häufig bei Einheimischen wahrgenommen. Em i olesem yet, so ist das eben. Ich brachte der Gruppe einen Krug mit Zitronenwasser, dazu Brot, Butter und Marmelade. Das wurde gelassen akzeptiert sie wären auch ohne ausgekommen.
Die Mittagszeit erschien mir endlos, trotz Mittagessens und der Zeit, um Amos zum Mittagsschlaf zu bringen. Die bange Ungewissheit machte mich bleiern und unfrei. Michael hütete sich, in mich zu dringen, ein Blick hatte ihm genügt, zu erkennen, dass ich besetzt war. Nach dem Mittagessen hatte sich Amos auf meinem Schoß zurechtgekuschelt, und wir hatten das von der Oma aus Deutschland gesandte Bilderwörterbuch zusammen angeschaut. Zu jedem Buchstaben gab es einige Wörter mit Abbildungen. Bei P wie Papagei waren wir heute angelangt. Auf einem Baum waren drei Papageien abgebildet. Schau, Mama, rief Amos begeistert. Das issa Papagei, das issa Mamagei und das issa Amosgei! Wenn das nicht Sinn ergab ...