Eindrücke

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Wassersparzeit ist vorbei

O wie schön! Regenzeit!

Rhythmische Gesänge der Dorfbewohner

Gute dreißig Flugminuten mit einer Cessna von der Hafenstadt Madang entfernt – man flog über unermessliche Flächen von Regenwald, dazwischen einige Buschdörfer – lag es mitten im Urwald. Eine Außenstation mit Missionarshaus, mehreren Schulhäusern, Buschhäusern für die Lehrer und den Pastor, und einem Stationsladen, umgeben von brandgerodeten Gärten.


Und: Begesin war nicht irgendeine Missionsstation, Begesin war bekannt als Gebiet für Sanguma, Todeszauber. Wer immer in der Küstengegend um Madang und auch weiter weg einen Menschen zu Tode zaubern lassen wollte, der wandte sich an den Zauberer von Begesin.


Im Badezimmer ließ ich meinen Blick erst einmal über den ganzen Raum schweifen, eine Art Automatismus, den ich mir angewöhnt hatte. Einmal war es vorgekommen, dass ich nachts auf dem Weg zur Toilette eine kleine, dunkle – und somit wahrscheinlich giftige – Schlange in der Dusche entdeckt hatte. Den Schein meiner Taschenlampe auf sie richtend, hatte ich nach meinem Mann Michael gerufe, der die Schlange durch Schläge mit einem Besenstiel auf den Fußboden nach draußen auf die Veranda vertrieb. Danach hatten wir über dem Abflussrohr der Dusche ein Gitter befestigt.


Ich ließ die Eimerdusche am Seil herab, füllte sie mit Wasser, zog sie hoch und gab mich dem Genuss einer Dusche hin. Das hatte ich gelernt: mit einem einzigen Eimer Wasser kann man sich einseifen, abspülen und sogar die Haare waschen. Ab heute konnte ich mit dem Wasser wieder viel freizügiger umgehen, denn heute Abend oder auch einige Abende später würde es mit Gewissheit erneut gießen.


„O wie schön“, dachte ich, „Regenzeit“. Die Wassertanks am Haus werden sich füllen, ich muss nicht mehr so mit Wasser geizen. Letztes Jahr hatte ich gegen Ende der Trockenzeit sogar die Wäsche im Fluss Ujapan zusammen mit den einheimischen Frauen gewaschen. Tagsüber hatten wir uns zum Wäschewaschen getroffen, gegen Dämmerung zum Baden – etwas Ritualhaftes, was ich zu Beginn der Regenperiode fast vermisst hatte.

Um etwa zehn Uhr hatten sich etliche Patienten versammelt, die von mir behandelt werden wollten. Geduldig saßen sie als Gruppe im Schatten eines riesigen Nadelbaums. Sie klatschten, erzählten Geschichten und kauten Betelnuss ohne Ende. Dabei wurden immer Betelnüsse und daka, so etwas wie Weidenfrüchte sowie kambang, eine Art weißes Kalkpulver, miteinander gekaut und untereinander ausgetauscht. Zu meinem Leidwesen wurde der beim Kauen entstehende rote, dünnflüssige Brei einfach in den Rasen gespieen. Ich ging mit meinen ausgekochten Spritzen außen am Haus entlang zur dispensary, dem Zimmer am Ende des Hauses, das wir als Krankenstation eingerichtet hatten. Im Vorbeigehen hielt ich kurz bei Michael an, der dabei war, mit den wokbois das Gras um das Haus zu mähen. Sie arbeiteten mit Sensen und lachten gerade heftig über irgendeinen Scherz. Ein Blick bestätigte mein vorabendliches Empfinden. Die Luft über den Rasenflächen um das Haus waberte wie in Nebelschleiern. Die Sonne war bereits gierig dabei, die niedergegangenen Regenmassen aufzusaugen, wobei mit jedem Regentag die Luftfeuchtigkeit steigen würde.


Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass unter den Wartenden auch Orkap, der große Zauberer von Begesin, war. Immer wieder mal pflegte dieser listige Typ bei mir aufzukreuzen. Nach meinem Verständnis verband uns eine gute Feindschaft; wir gingen bewusst höflich und respektvoll miteinander um. „Moning, Mama!“, rief er verhalten grinsend zu mir herüber. Klar, ich hatte ein Kind, war also Mama und als solche – obwohl erst vierundzwanzigjährig – Respektsperson. Aber für ihn, den Hüter dunkler Geheimnisse? Uns verband das Wissen, dass Kranke sich an ihn genauso wie an mich um Hilfe wandten, vielleicht als Doppelkonsultation, oder auch abwechselnd. Was wollte dieser Mann? Das habe ich nie so recht herausbekommen. Immer, wenn ich ihn sah, stieg ein beklemmendes Gefühl in mir hoch, eine Ahnung, als Weiße die Einheimischen nie wirklich verstehen zu können. Ich hatte ihn genau beobachtet, wie er als Zauberer ein Sanguma-Singsing, ein Todeszauber-Tanzfest, anleitete. Das rhythmische Stampfen, die Gesänge, Gerüche und die Beklommenheit, trug ich noch tief in mir. Bevor ich den ersten Kranken hereinrief, musste ich mich innerlich schütteln, um die klammen Erinnerungen abzustreifen.