Wunder
Verzweifelte Situation
Ideenreichtum ist gefragt
Ende gut Alles gut!
Eines Nachmittags wurde ich zu Mama Aisaip gerufen, die ihr viertes Kind entbinden sollte. Gleich bei meiner Ankunft meinte Aisaip, der mit seinen Kindern vor dem Haus saß, es werde Schwierigkeiten geben, denn für Wehen sei es viel zu früh. Besorgt trat ich ins Haus, fand aber alles vor wie gewohnt, und beruhigte mich langsam. Die Wehen verstärkten sich, die Entbindung nahm ihren üblichen Verlauf. Erst beim Anblick des Neugeborenen erinnerte ich mich wieder an Aisaips Vorahnung. Eindeutig war dieses Kind eine Frühgeburt, es war mager, hatte dünne Ärmchen und Beinchen, es war völlig unfertig. Wir Frauen schauten uns ungläubig an, als wir sahen, dass die Ohren noch nicht eingerollt und die äußeren Schamlippen des winzigen Mädchens sich noch nicht geschlossen hatten. Wir legten das kleine Wesen an Mama Aisaips Brust; sie versuchte, es zu stillen, aber es lag einfach nur immerhin atmend wie leblos da. Nachdem wir am Abend mit allem fertig waren, gingen wir beklommen auseinander.
Auf dem Weg zu unserem Haus grübelte ich, was zu tun sei, um dieses winzige Wesen am Leben zu erhalten. Ratlos betrat ich das Haus, Amos rannte mir entgegen und hüpfte in meine Arme. Ich sog den Duft meines Kindes ein, das offenbar bereits von Michael gebadet worden war und eine Erkenntnis kam. Rasch berichtete ich Michael, was geschehen war und meine eben gefundene Lösungsmöglichkeit. Sofort machten wir uns daran, das alte Gitterbettchen von Amos hervorzuräumen und mit Desinfektionslösung zu säubern. Ich fand in der Küche die Fläschchen von Amos, dazu eine noch eingeschweißte Packung mit Saugern und kochte alles aus, während Michael Amos zu Bett brachte. Dann machten wir beide uns auf den Weg zu Aisaips Haus. Angekommen, erklärte ich ihm, dass so ein Frühgeborenes mehr Wärme brauche und wir
Er war schon auf dem Weg ins Haus. Wir folgten ihm und er sagte, er sei unsicher, ob seine Frau überleben würde, sie sei ungewöhnlich schwach. Drinnen nahm er das Neugeborene behutsam von der Brust seiner schlafenden Frau, hüllte es in eine warme Decke und reichte es mir, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. Nimm sie, rief er, vielleicht kannst du sie auf dieser Erde halten. Draußen vor der Tür bat er mich, das Kind hochzuheben, hoch zum Himmel, damit Gott es sehen könne. Nem bilong dispela pikinini em i Ainimes!, rief er feierlich, der Name dieses Kindes ist Ainimes! Beim Weggehen schaute er uns versonnen nach.
Auf dem Weg zurück fragte Michael belustigt: Hast du das gemerkt, wie hier wieder magisches Denken und christlicher Glaube vermischt wurden? Ich schaute ihn fragend an. Ich hatte nichts gemerkt, ich war tief beeindruckt gewesen. Michael war noch immer belustigt. Der alte Gauner, sagte er, wenn jemand einen Namen hat, können ihn die Geister nicht so leicht töten! Umgekehrt gilt das genauso. Wenn die anderen meinen Namen nicht kennen, habe ich Macht über sie. Denk doch nur mal an die Märchen, die wir Amos erzählen, denk an Rumpelstilzchen!
Die Zeit danach wurde zu einer Kraftprobe für mich. Ich legte um Ainimes mit Decken eingehüllte heiße Wasserflaschen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich mich im tropischen Klima einmal nach Wärmflaschen sehnen könnte. Alle zwei Stunden stellte ich den Wecker, um Ainimes ein Fläschchen mit Milch zu geben. Schon, wenn sie nur ein paar Gramm nuckelte, schon, wenn sie überhaupt nuckelte, war ich überglücklich. Manchmal strich ich vergeblich mit dem Sauger über ihre Lippen. Während ich um ihr Leben kämpfte, kämpfte Mama Aisaip um das ihrige. Tagsüber erledigte ich, wie gewohnt, meine Krankenversorgung, alle andere Arbeit beließ ich bei Michael und den Hausmädchen. Tage- und nächtelang hielten wir alle den Atem an in der bangen Frage, ob das Unterfangen gelingen würde. Ich weiß nicht mehr, nach wie vielen Tagen und erschöpfenden Nächten ich Ainimes ein Fläschchen gab, und sie es zufrieden halbleer saugte. Sie saugte richtig kräftig, wie ein gesundes Baby das eben tut. Das war der Punkt, an dem ich mir gewiss war, dass sie überleben würde. Manchmal kam Aisaip vorbei, erzählte von der Genesung seiner Frau und schaute mir glücklich zu, wie ich seiner Tochter ein Fläschchen gab. Eines Tages übergab ich ihm sein Kind mit den Worten: Du hast ihr einen Namen gegeben, sie ist dein Kind. Wenn der Körper Deiner Frau noch verstehen soll, dass sie auch ihr Kind ist, muss sie so schnell wie möglich beginnen, sie zu stillen. Genau so selbstverständlich, wie er sie mir gegeben hatte, nahm er Ainimes in seine Arme und brachte sie seiner Frau. Das erstarkte Kind sog aus seiner wieder zu Kräften gekommenen Mutter die Muttermilch hervor, die es so problemlos vertrug, wie es meine Pulvermilch vertragen hatte.