Aufregung

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Unterstützung von Kinderkrankenschwestern

Schmerzhafte Behandlung wegen falschen Spritzens

Rätselhafte, unerträgliche Schmerzen

Die vier Wochen kamen vom Missionshospital in Yagaum die baby clic nurses. Das waren einheimische Krankenschwestern, deren Aufgabe es war, die medizinische Versorgung der Kinder von der Geburt bis zu einem Alter von drei Jahren zu gewährleisten. Sie pflegten, bei uns zu übernachten, und am nächsten Tag – die Mütter waren über Radio Madang informiert worden – Routineuntersuchungen an den Kleinkindern durchzuführen. Die Kinder wurden gewogen, bekamen ihre fälligen Impfungen, und Blutproben wurden mitgenommen, deren Ergebnis ich nötigenfalls zur weiteren Behandlung mitgeteilt bekam. Wir freuten uns immer auf den Besuch dieser jungen Frauen, denn sie bedeuteten jedes Mal zwei gesprächsreiche Abende.


Bei einem dieser Besuche brachten Lehrer von der Station einen Schuljungen, der sich im Garten mit seinem Buschmesser am Schienbein einen tiefen Schnitt zugefügt hatte. Sofort war klar, dass dieser Schnitt genäht werden mußte. Ich war heilfroh, nicht auf die Behelfskünste meines Schmetterlingsverbands angewiesen zu sein und schaute neugierig zu, als der Junge behandelt wurde: Esther, die ältere der Schwestern, gab ihm eine lokale Betäubungsspritze, aber ich konnte erkennen, dass sie die Spritze höchst ungeschickt ansetzte. Die Nadel wurde zwar richtig eingeführt, aber die Spitze der Nadel blieb nicht im Fleisch stecken, sondern sie stand außerhalb, so dass die Betäubungsflüssigkeit das Fleisch nicht erreichte – sie floss außen auf die Wunde. Nach einer kurzen Wartezeit begann Esther zu nähen und ich schaute fassungslos zu, wie sich mit einem scheußlichen Geräusch die Halbrundnadel mit dem Faden immer wieder in das unbetäubte Fleisch bohrte. Der Junge gab keinen Mucks von sich, Schmerztränen liefen seine Wangen herab, aber er ertrug jeden Stich, meine Hand schmerzhaft umklammernd, ohne einen Laut von sich zu geben.

Eines Abends, wir hatten gerade Amos zu Bett gebracht, klagte Michael plötzlich über starke Schmerzen in der Lendenengegend. Wir hofften, die Schmerzen würden vergehen, aber sie wurden immer stärker. Als Michael sich nur noch in seinem Schmerz wand, erinnerten wir uns an die emergency box, die Notfallkiste, die auf jeder Außenstation vorhanden war. In ihr waren z.B. Medikamente gegen Malaria Tropica und starke Schmerzmittel. Diese Kiste war versiegelt. Wir hatten uns bei Übernahme der Station verpflichten müssen, das Siegel nur in äußersten Notfällen zu lösen. War jetzt solch ein Notfall eingetreten? Irgendwann, als Michael vor Schmerzen schrie, beschloss ich, dass der Zeitpunkt gekommen sei. Ich brach die Kiste auf, fand darin ein sehr starkes Schmerzmittel sowie Kanülen und Spritzen. Ich überflog den Beschreibungszettel des Mittels und dachte: „Das ist es, das kann ihm helfen“. Mit vor Aufregung zitternden Fingern sägte ich die Ampulle mit dem Schmerzmittel auf und sog es in die Kanüle, setzte die Spritze an – und sah entsetzt auf die weiße Haut vor mir. Weiße Haut, ich hatte noch nie in weiße Haut gespritzt. „Stich endlich zu!“ rief Michael, „es macht nichts, wenn es weh tut. Hauptsache, diese Schmerzen hören auf!“ Entschlossen stieß ich die Nadel in die weiße Haut vor mir und drückte die Spritze langsam aus. Nach ungefähr zehn Minuten waren die Schmerzen abgeklungen und den Rest der Nacht zwang ich Michael, literweise zu trinken. Am Morgen war es so weit, dass er die Nierensteinchen, die für die Kolik verantwortlich gewesen waren, ausscheiden konnte. Zum Glück mussten wir die emergency box nie mehr wieder in Anspruch nehmen und das in dieser dramatischen Nacht entstandene Wir-Gefühl hat uns noch lange Zeit getragen. Immer wieder, wenn wir mit dem Begriff yumi, wir, in Form von du-ich in Tok Pisin in Berührung kamen, haben wir uns angeschaut und uns an diese Nacht erinnert.